Wie wir in der Party Finca der Mexikanischen Patrones gelandet sind

Es gibt Reisende, die planen alles bis ins letzte Detail: wann sie wo sein sollen, wo sie übernachten und essen. Und dann gibt es Reisende, die planen gar nichts und fahren einfach los. Wir sind irgendwo dazwischen.

An diesem Donnerstag wollen wir von Cabo San Lucas den Camino Cabo Este Richtung Nordosten an der Küste entlang fahren und uns dann am Strand einen schönen Platz zum Übernachten suchen. Wir verspätet uns schon, bevor wir überhaupt richtig unterwegs sind, denn wir müssen noch Diesel und Wasser tanken. Diesel ist kein Problem, denn Tankstellen gibt es wie Sand am Meer. Das mit dem Wasser wird schwieriger, vor allem, als der Mitarbeiter schnell Zigaretten holen geht. Wir wissen nicht, wo er die holen wollte, aber er hat sich die halbe Stunde, die wir vor seinem Laden gewartet haben, nicht blicken lassen. Das ist Mexiko! Dann macht eben ein anderer das Geschäft. Endlich sind wir auf dem Camino Cabo Este. Hier kann man das erste Stück die Schotterpiste direkt an der Küste entlang fahren oder die planierte Strecke etwas weiter im Landesinneren. Wir wählen die erste Variante, lassen Luft ab, ziehen die Freilaufnaben an und los geht’s. Vor fünf Monaten hat ein Hurricane die Südspitze der Baja-Halbinsel schwer getroffen. Das Ausmaß ist hier noch gut zu sehen: eine ausgewaschene Schotterpiste, die immer wieder von trockenen Flussbetten durchschnitten wird.

In einem dieser Flussbetten steckt jemand fest! Greg aus Oregon versucht verzweifelt, seinen Sprinter mit einem Kochtopf auszugraben. Er hat da schon eine ganze Weile gegraben und ist in der Zwischenzeit sogar drei Kilometer bei brütender Hitze ins nächste Dorf gelaufen, um Hilfe zu holen – alles ohne Erfolg. Gut, dann ziehen wir ihn eben raus. Gregs Sprinter hat keinen Allradantrieb, nur Heckantrieb, und er hat die Reifen nicht abgelassen. Also, Sprinter anhängen und rausziehen. Das ging schnell! Doch Greg hat noch wenig Erfahrung im Fahren auf Sand und vergräbt sich gleich wieder. Also alles nochmal: Abschleppseil und Sandbleche wieder auspacken. In der Zwischenzeit wird es dunkel, und ich male mir aus, welch schönen Sonnenuntergang wir am Strand gerade versäumen. Also Suchscheinwerfer an und nochmal ziehen! Fermin, ein Mexikaner, der zwei Kilometer weiter in einem kleinen Wohnwagen wohnt, kommt vorbei. Er hilft graben und kennt sich mit dem sandigen Untergrund aus. An ein Vorwärtskommen ist für Greg sowieso nicht mehr zu denken, da die Straße immer schlechter wird. Wir laufen ein Stück vor und beschließen, den Sprinter umzudrehen. Die Straße ist schmal, einspurig, holprig und sandig. Fermin findet eine Stelle, wo sich der Sprinter sicher umdrehen lässt, und letztendlich fährt Christoph Gregs Sprinter rückwärts und dreht ihn so, dass Greg sicher nach Los Cabos zurückfahren kann.

Wir überlegen, wohin wir gehen sollen. Einen Strand finden wir in der Nacht sowieso nicht mehr, also schlagen wir hier abseits des Weges unser Lager auf. Fermin lädt uns ein, bei ihm zu campen und zu duschen. Duschen! Nach der Aktion unbedingt! Wir folgen Fermin auf seinem Quad die holprige Straße entlang. Er zeigt uns seinen Wohnwagen, springt dann aber wieder auf sein Quad und fährt weiter. Wir wundern uns kurz und folgen ihm. Er bringt uns hinter eine Absperrung, etwa 300 Meter von seinem Wohnwagen entfernt. Hier sollen wir parken, dann führt er uns einen schmalen betonierten Weg zwischen Riesenkakteen auf einen Hügel. Es ist sehr dunkel, der Mond nimmt erst gerade wieder zu, die Nacht ist sternenklar, und mit unseren Taschenlampen sehen wir nur ansatzweise, wo wir uns befinden. Vor uns die Küste, unten hören wir die Wellen brechen. Das ist die Fiesta-Residenz der mexikanischen Patrones, sagt Fermin. Das interessiert mich nun wirklich, was er mit Patrones meint! Es sind lokale Politiker, keine Drogenbosse. Hier gibt es eine Toilette und eine Dusche, mehr brauchen wir heute nicht. Wir kochen für uns alle, und Fermin freut sich sehr über kaltes Bier. Hier könnt ihr euch die leuchtenden Augen eines Kindes vorstellen, dem man gerade ein Eis in die Hand drückt – und ich übertreibe nicht!

Am nächsten Morgen schauen wir uns unser nächtliches Domizil genauer an. Es ist simpel, aber schön und praktisch. Eine Terrasse auf zwei Ebenen, eine Outdoor-Küche, zwei Duschen, eine draußen und eine drinnen, ein Klo und eine Treppe zum Strand. Die Aussicht ist atemberaubend, aber seht selbst auf den Fotos.

Bienvenido a Mexico: Offroad-Pisten, weiße Strände und Sternenhimmel

Es ist an der Zeit, die USA zu verlassen! 35.000 Kilometer haben wir bisher zurückgelegt, und nun sind wir bereit, Neues zu entdecken. Am 9. Oktober 2017 überqueren wir bei Tecate die Grenze nach Baja California, Mexiko. Unser erster Halt ist Ensenada, wo wir Yasmin und Stefan treffen. Die beiden reisen mit dem Zebra, einem 1992er Toyota Landcruiser, und haben ähnliche Pläne wie wir. Sie sind in Halifax gestartet und haben insgesamt zwei Jahre Zeit. Christoph und Stefan hatten bereits über Facebook Kontakt, da unsere Reisepläne übereinstimmen. Bisher hatten sich unsere Wege noch nicht gekreuzt, doch nun ist es soweit, da unsere Autoversicherungen zur gleichen Zeit ablaufen. Wir beschließen, eine Weile gemeinsam zu reisen, was auf der spärlich besiedelten Baja mit ihren schlechten Straßenverhältnissen von Vorteil ist.

In Ensenada stocken wir unsere Lebensmittelvorräte auf und ziehen weiter nach Süden. Kurz nach Ensenada biegen wir auf eine Schotterstraße ab, um einen Schlafplatz zu suchen, und stoßen dabei auf die Strecke der Rallye Baja 1000, die 1000 Meilen (1600 km) von Ensenada bis zur Spitze nach La Paz führt. Da wir schon mal da sind, lassen wir Luft aus den Reifen und bleiben auf dieser Strecke. Wir finden einen Übernachtungsplatz mitten im Nirgendwo, unter einem funkelnden Sternenhimmel und in Gesellschaft wilder Pferde.

Am nächsten Tag geht es nach San Felipe, wo wir mitten in den Dreharbeiten für einen Werbefilm von BF Goodrich landen. Dunebuggies rasen durchs Gelände, und wir positionieren uns hinter einer Kuppe, um das Geschehen zu beobachten und abzuwarten, bis die Dreharbeiten abgeschlossen sind. Schließlich wollen wir nicht im Weg sein, denn wir sind nicht so schnell unterwegs – schließlich haben wir unser Haus dabei. Die Strecke ist mit grünen und orangenen Schildern gut markiert, dennoch biegen wir einmal falsch ab und kommen an einer etwas verwahrlosten Rancho vorbei. Plötzlich folgen uns energisch zwei Pick-ups. „Hier geht’s nicht weiter! “, sagen die Männer bestimmt. „Die Straße hört auf! “ Wir drehen um, und einer der Männer fährt voran, der andere hinterher, um uns wieder auf den richtigen Weg zu geleiten. Was wir wohl gefunden hätten? Das bleibt eurer Fantasie überlassen.

In San Felipe angekommen, suchen wir einen Übernachtungsplatz am Strand. Das ist gar nicht so einfach, denn es gibt keine detaillierten Karten, und das GPS kennt keinen Weg. Die Wege, die in die gewünschte Richtung führen, sind entweder mit einem Zaun versperrt oder zugeschüttet. Als wir schon aufgeben wollen, kreuzt ein Fischer auf einem Fahrrad unseren Weg und sagt: „Follow me! “ Wir folgen ihm gespannt, wohin er uns führen wird. So schnell wie er radelt, muss er den Weg kennen, und er navigiert uns geschickt durch das Wege-Wirrwarr. Wir hätten den richtigen Weg niemals erkannt. Er führt uns in eine kleine Bucht, wo das letzte Stück des Weges steil und steinig ist. Als wir fast unten sind, fragt er, ob wir 4×4 haben – besser spät als nie. Daniel ist sein Name, und er fischt hier illegal. Manchmal kommt die Polizei, dann muss er sich schnell verstecken, aber wir sollen uns keine Sorgen machen, die Touristen lassen sie in Ruhe. Er hilft uns, Feuerholz zu sammeln, und wir laden ihn auf ein Bier ein.

Der erste Strandplatz war schon mal nicht so einfach zu finden, der zweite Versuch sollte scheitern. Etwas südlich von San Felipe suchen wir nach dem nächsten Übernachtungsplatz. Eigentlich sollte Muggl an dem Tag vorfahren, aber da das Zebra näher an der Abzweigung steht, fährt es als erstes den schmalen Weg in Richtung Meer entlang. Der Weg ist sandig, und plötzlich verschwindet das Zebra vor uns, indem es hinter der Düne nach unten absackt. Eingesunken im Sand sitzt es da unten. Wir laufen die Umgebung ab, ob es über den Strand einen Weg hinaus gibt, aber das sieht schlecht aus. Das Zebra muss rückwärts wieder hoch! Wir schaufeln und graben, um die Reifen freizubekommen, und versuchen erst, es mit Muggl hochzuziehen. Da aber auch Muggl oben auf dem Hügel Sand unter den Füßen hat und sich einzugraben droht, lassen wir das. Letztendlich graben wir noch mehr und legen alle sechs Sandbleche, die wir haben, immer wieder hintereinander, sodass ein fester Untergrund entsteht und sich das Zebra aus eigener Kraft befreien kann. Zwei Stunden schweißtreibende Arbeit, es wird langsam dunkel, und wir haben immer noch keinen Platz zum Übernachten. Der nächste Campingplatz ist geschlossen, der übernächste ziemlich teuer, also stellen wir uns einfach in die Wüste und schlafen zwischen Kakteen im Nirgendwo – auch schön.

Die Strecke der Baja 1000 führt teilweise auf der Teerstraße, meistens aber durch die Pampa. Die Straßen- bzw. Streckenverhältnisse sind vielseitig: mal Sand, mal Stein, mal Felsen, durch die Wüste mit Kakteen (ich wusste nicht, dass es so viele verschiedene gibt!) und durch trockene Flussbetten – es ist alles dabei. Vor allem findet man immer wieder schöne Plätze zum Übernachten, mal am Strand, mal unter Riesenkakteen oder im Calamajue Canyon, wo wir am Morgen aufwachen und einen Platten haben! Wie geht denn das? Am Tag vorher war doch noch alles in Ordnung?! Wir pumpen erst mal wieder Luft auf und warten. Sie scheint nur langsam rauszugehen, also fahren wir mit „verletztem Fuß“ weiter. Die Strecke wird anspruchsvoll, und wir kontrollieren regelmäßig den Reifendruck. Komisch, es geht kaum Luft raus, aber umso besser! Wir schaffen die 54 Kilometer nach Bahia de Los Angeles und müssen nur zweimal ein bisschen Luft nachpumpen.

In Bahia de Los Angeles angekommen, gibt es erst mal Tacos. Mit Ginas Tacostand haben wir gleich den besten im Ort gefunden, und hungrig eine Autowerkstatt zu suchen, macht ja auch keinen Sinn. Dann geht’s zum Supermarkt, und wie praktisch, gegenüber ist gleich eine Werkstatt, die scheinbar alles macht. Wir melden uns schon mal an, füllen aber im Supermarkt erst mal unsere Vorräte wieder auf. Im Supermarkt sprechen uns Dennis und Rainy an, die schon am Tisch neben uns am Tacostand saßen. Sie fragen, was wir machen und ob wir einen Campingplatz suchen. Ja, in der Tat, wir wollten tatsächlich ausnahmsweise mal auf einen Campingplatz, weil wir Internet brauchen, um den ADAC zu kontaktieren. Unsere Bremsscheiben scheinen durch zu sein, und beim Bremsen rüttelt es ordentlich. Dennis meint: „Kommt doch mit zu uns, da könnt ihr am Strand campen, ihr könnt bei uns duschen, die Kayaks benutzen und das mit dem ADAC klären. “ Sie erwarten am späten Nachmittag eh noch mehr Besuch, weil sie für die kommende Woche eine vierfache Geburtstagsfeier planen. Na dann fallen wir ja nicht auf. Er erklärt uns, wo wir hinfahren müssen, und die Wegbeschreibung ist abenteuerlich. Schließlich setzt er auf meiner Karte im Handy einen Pfeil ins Nichts. „Da wohnen wir“, meint er. Ich bin gespannt, ob wir das finden.

Als unser Reifen geflickt ist und wir alles erledigt haben, fahren wir in Richtung Süden. Zweimal müssen wir abbiegen, irgendwo liegt an einer Gabelung ein Reifen, da müssen wir links, und auf einmal haben wir einen Sprinter vor uns. Als der anhält, fragen wir, ob sie zu Dennis und Rainy fahren. „Ja! “, sagen Don und Susy, „wir warten nur noch auf Freunde, die noch nie da waren und den Weg nicht kennen. “ Wie praktisch, wir kennen den Weg ja auch nicht und hätten ihn vermutlich auch nie gefunden, hätten wir die beiden nicht getroffen. Somit fahren wir in einer Viererkolonne in die Bucht, wo Dennis und Rainy sowie einige andere ihre Ferienhäuschen haben. Wir werden sehr herzlich empfangen, es wird uns der Weg zu unserem Campspot erklärt und der Weg zu Jeff und Susan, wo es am Abend Dinner gibt. Wir können es nicht glauben, wir sind im Paradies gelandet! Die Menschen sind so hilfsbereit und offen, alle im Rentenalter, aber so jung geblieben und voller Lebensfreude. Letztendlich bleiben wir zwei Wochen dort. Alan, ein Freund von Jeff, holt unsere Bremsscheiben am internationalen Flughafen in San Diego ab und bringt sie uns mit. Er kommt mit seiner Frau Jen eine gute Woche nach unserer Ankunft nach Bahia de Los Angeles. Zu den Bremsscheiben gibt es auch noch einen extra Bericht!

In den zwei Wochen erleben wir so viel, dass ich es nur kurz zusammenfassen kann. Wir schnorcheln mit Walhaien, paddeln mit Delfinen und sehen zum ersten Mal Taranteln. Jeden Tag kommt jemand anders zu uns und fragt, ob wir etwas aus dem Ort brauchen. Jeff und Susan fahren mit uns zur Wäscherei, in den Supermarkt und zum Brennholz sammeln. Bei Dennis und Rainy verbringen wir viele Abende bei leckerem Essen, das immer mal wieder von jemand anderem gekocht wird. So leisten auch wir einen kleinen Beitrag, und Christoph und Stefan kochen Käsespätzle. Als der Tag der großen Feier da ist, bieten wir an zu helfen. Wir stellen Tische und Stühle auf, dekorieren und verteilen Kuchen. Zum Mitfeiern und Tanzen bleibt aber auch noch Zeit. Es sind auch die Mexikaner aus dem Dorf eingeladen und zahlreich erschienen. Gina macht Tacos, es spielt eine mexikanische Band, und es wird eine Piñata aufgehängt, die die Kinder aus dem Dorf herunterhauen dürfen. Eine schöne Feier, auf der wir viele interessante Leute kennengelernt haben, wie Dave und Debbie, mit deren Hilfe wir später in La Paz noch ein Solarpanel kaufen.

Am vorletzten Abend sind wir noch bei Jeff und Susan zum Essen eingeladen. Alan und Jen sind mit unseren Bremsscheiben angekommen, und Alan erzählt, wie er vom Zöllner zum Fahrzeug befragt wurde und eigentlich gar nicht wusste, was ein Iveco ist. Er hat dann auf seinen Oldtimer abgelenkt. An unserem letzten Tag, es ist ein Sonntag, bauen Christoph und Stefan die neuen Bremsscheiben ein. Dennis hat eine super ausgestattete Garage mit allerlei Werkzeug, das wir benutzen dürfen. Dennis’ Werkstatt und auch sein Haus sind irgendwie der Mittelpunkt in dieser Gemeinschaft und Treffpunkt zu jeder Tageszeit. So sind die Jungs auch in bester Gesellschaft und Begleitung der technisch versierten Rentner, die mit Rat und Tat zur Seite stehen – mit Cerveza in der Hand. Wir reisen am darauffolgenden Montag mit einem lachenden und einem weinenden Auge ab. Einerseits freuen wir uns, dass wir neue Bremsscheiben haben und endlich weiter können, andererseits sind wir traurig, dass wir diese lieben Menschen nun verlassen müssen.

Für uns geht es weiter Richtung Süden, buchstäblich über Stock und Stein entlang der Rallyestrecke Baja 1000. In Santa Rosalia treffen wir auf Shay und Monika aus Vancouver, Kanada, die für fünf Wochen Ferien auf der Baja machen. Nachdem wir die gleiche Strecke haben, schließen sich die beiden uns kurzerhand an, und wir reisen zu dritt bzw. zu sechst weiter. Je weiter wir nach Süden kommen, umso schönere Strände finden wir zum Übernachten, und oft führen die Straßen dorthin über Schotter, Sand, trockene und weniger trockene Flussbetten. Als wir allerdings auf der gegenüberliegenden Seite der Bahia de Concepción einen schönen Strand suchen, gestaltet sich das als etwas schwierig. Alle drei Paare von uns haben Infos zu diesem Platz aus verschiedenen Quellen. Die Zebras haben davon in einem Blog gelesen, die Kanadier haben die Infos von Locals, und wir haben den Tipp von anderen Reisenden, die im Jahr vorher dort waren. Also öffnen wir, wie in den Wegbeschreibungen erklärt, das Tor, das nach der Bucht links in die Schotterstraße weggeht, und fahren in die Rancho. Pferde und Kühe schauen uns ungläubig an, eine Straße ist nur schwer erkennbar, und uns fallen die Worte von Jeff wieder ein, der sagte: „On Baja you have to keep this in mind: follow the most traveled road! “ So machen wir das, es geht aber nur sehr langsam voran, da es einer der schlechtesten Trails ist, die wir je gefahren sind. Es wird dunkel, der Strand ist nicht besonders schön und steinig, trotzdem lassen wir uns nieder und schlagen unser Lager auf. Wir verbringen einen schönen Abend, kochen Gemüsepfanne mit Chorizo, backen Cinnamon Rolls im Dutch Oven und machen Fotos von einem unglaublichen Sternenhimmel über uns. Wir sind so ab vom Schuss, dass es hier quasi keine Lichtverschmutzung gibt. Weil wir so in Fahrt sind, fangen wir auch noch an, mit Taschenlampen in die Luft zu schreiben. Das Ergebnis „Baja“ und „Mexico“ kann sich sehen lassen.

Am nächsten Morgen schauen wir, wie weit wir noch kommen, und stehen plötzlich vor einer Felswand. Also, wenn da mal irgendwo ein schöner Strand war, ist der verschwunden oder ein Erdrutsch hat den Zugang so verschüttet, dass dieser nicht mal mehr zu erkennen ist. Also drehen wir um! Wir beschließen, uns am Ausgang bzw. da, wo es wieder auf den Highway geht, zu treffen. Irgendwie kommen wir aber an einer anderen Stelle raus, als wir reingekommen sind. Das Zebra und Muggl sind zeitgleich da, aber die Kanadier sind hinten geblieben. Wir pumpen schon mal Luft auf und beraten uns, wie wir die beiden wiederfinden, als sie schließlich auch ankommen und wie wir scheinbar irgendwo die falsche Abzweigung erwischt haben. Die Freude ist groß, und umso größer, als Monika mit unserem Dachfenster auf uns zukommt! Ja, ihr lest richtig, wir haben unser Dachfenster verloren, Muggl kurzerhand zum Cabrio gemacht und das noch nicht mal gemerkt! Scheinbar hat uns irgendwo ein Ast gestreift und die gute Luke vom Dach gerissen!

Der nächste Strandplatz wartet schon, und wir finden ein Paradies zum Schnorcheln mit feinem weißen Strand. Hier entfernen wir erst mal den Busch aus unserem Kleiderschrank und befestigen das Dachfenster so, dass es erst mal für eine Weile hält. Nach zwei Tagen Erholung am Strand, wo wir super schnorcheln können und sehr viel Spaß beim UNO haben, geht es schon wieder weiter nach Loreto. Ein süßes Städtchen mit schönem historischem Zentrum, das uns sehr gut gefallen hat. Von dort geht’s dann aber schon wieder auf die Piste nach Agua Verde, und Piste ist hier nicht übertrieben. Es geht in Serpentinen eine sehr schmale Schotterstraße ziemlich steil hinunter. Unten erwartet uns allerdings eine ruhige Bucht mit einer kleinen steinigen Insel in der Mitte – wieder ein Paradies zum Schnorcheln mit tollen Korallen.

Am nächsten Morgen heißt es Abschied nehmen von den Kanadiern. Die beiden müssen ein bisschen vorwärts machen, schließlich haben sie nur fünf Wochen und müssen ja auch den ganzen Weg wieder zurück! Wir, das Zebra und Muggl, starten ein bisschen später. Es dauert aber nicht lange, und wir finden die Kanadier am Straßenrand mit aufgebocktem Camper. Am rechten Vorderreifen hat sich eine Mutter gelöst, und der Bolzen ist so weit herausgewandert, dass sich der Reifen von der Radaufhängung gelöst hat und einfach weggeknickt ist! Das Ganze ist zwar an einer Steigung passiert, aber auf Asphalt und gerade ein paar Kilometer nach der steilen, kurvigen Schotterpiste. Die Mutter war natürlich weg, und wir haben Muggl und das Zebra nach einer übrigen Mutter durchsucht – nichts! Stefan flickt den Schaden notdürftig, und wir können die beiden so in die nächste Werkstatt schicken.

Für uns geht es weiter Richtung La Paz, wo wir uns nach knapp fünf Wochen auch vom Zebra verabschieden. Wir haben nämlich beschlossen, nicht mehr bis ganz unten nach Argentinien zu reisen, sondern nur nach Panama. Es gibt so viel zu sehen und zu entdecken, und wir wollen keinen Stress haben. Eineinhalb Jahre erschienen uns am Anfang viel, aber wenn man eine Weile unterwegs ist, merkt man, dass das nicht genug ist. Somit haben wir jetzt mehr Zeit und können auf der Baja noch etwas trödeln. Erst mal organisieren wir uns ein neues Solarpanel, denn die alten sind nicht mehr so leistungsfähig. Dann lassen wir Muggl bei einem Diesel-Spezialisten checken, denn die neue Einspritzpumpe macht auch schon wieder Probleme. „Er hat Rost im Tank, und das Ein-Filter-System macht das nicht mit“, erklärt der Mexikaner. Er reinigt unseren Tank recht gründlich, und wir sind gespannt, ob’s was bringt. Mein Fachspanisch, was Autoreparaturen angeht, wird immer besser.

Wir genießen den „unteren Loop“ der Baja, wie wir ihn nennen, noch ausgiebig. Todos Santos ist eines unserer Lieblingsstädtchen auf der Baja. In Cabo San Lucas gönnen wir uns für zwei Nächte ein Hotel. Was das noch für Folgen hat, könnt ihr im nächsten Bericht lesen. Nichts Schlimmes, so viel schon jetzt. Wir gehen lecker essen im „Mi Casa“, einem zwar etwas touristischen, aber sehr leckeren Restaurant mit einem Mix aus moderner und traditioneller mexikanischer Küche und einer riesigen Sammlung an Catrinas. Das sind die Skelettfiguren, die man in Mexiko hauptsächlich zum Dia de los Muertos (Tag der Toten) bzw. Allerheiligen kaufen kann. Dazu gibt’s noch eine Bootstour um die Spitze der Baja California vor Cabo San Lucas, wo wir uns die Felsformationen, Strände und Seehunde anschauen. Ein bisschen Touri-Programm darf auch sein, schließlich sind wir im Urlaub, und außerdem ist Nebensaison. Am besten holt man sich Infos zu Preisen bei Locals und verlangt dann auch bei den Touranbietern den Einheimischen-Preis. Das funktioniert eigentlich immer.

Über den Camino Cabo Este geht es auf der anderen Seite wieder hoch Richtung Cabo Pulmo und Los Barriles. Dort wurden wir erst mal aufgehalten, und dazu gibt es einen extra Bericht: „Diese Tage, die ein unerwartetes Ende nehmen. “ Von Los Barriles versuchen wir dann zum letzten Mal auf der Baja unser Offroad-Glück und wollen an der Küste entlang nach La Paz. Die Straße ist in der Karte eingezeichnet, und Google kennt sie auch, also fahren wir mal los. Die ersten Kilometer sind sogar geteert, dann nur noch Schotter, schließlich wird’s recht hubbelig und eng. Nach knapp 40 Kilometern kommt uns ein Radfahrer aus England entgegen, der nicht weiß, was er von uns an der Stelle halten soll. Sein Gesicht ist eine Mischung aus Erstaunen und Freude. „Wenn ihr da weiter wollt, seid ihr verrückt. Der Weg wird noch schlimmer, enger und steiler. “

Grenzübertritte zwischen USA und Kanada

Grenze an der Route 221 in Lacolle QC in Richtung Montréal

Die erste Grenze, die wir überquerten, lag an der Route 221 in Lacolle, QC, Richtung Montréal. Es war Sonntag, der 23. April 2017. Dieser Grenzübergang ist klein und offenbar wenig frequentiert, wie die überraschte Reaktion des Grenzbeamten zeigte. Er fragte erstaunt: „What are you doing here?“ Unsere Antwort: „Wir wollen nach Kanada.“ Das Interesse an unserem Fahrzeug war groß, ein Kollege kam hinzu, um es zu begutachten. Unsere Reisepässe wurden kontrolliert, und wir beantworteten Fragen zu unserer Anzahl, ob wir Alkohol, Tabakwaren, Waffen, Haustiere oder tierische Produkte mitführten. Die Beamten waren neugierig und fragten auch nach der Verschiffung: Kosten und Dauer. 

Sie verabschiedeten uns mit: „Welcome to Canada and enjoy!“

Grenze von Kanada nach USA - Port Huron

Am 29. April 2017 kehrten wir über Point Edward in die USA nach Michigan zurück. Wir wurden gefragt, wie viele wir sind, ob wir Waffen haben und nach unseren Versicherungen, sowohl Auto- als auch Krankenversicherung. Die Papiere wollte er nicht sehen. Nach Lebensmitteln fragte er nicht, aber nach unserem Reiseziel. Zuletzt erkundigte er sich, ob wir Spanisch sprechen, und sagte beruhigt „sehr gut“, als ich mit „ja“ antwortete. 

Nach fünf Minuten waren wir durch.

Grenze zwischen Kanada Waterton NP - USA Glacier NP

Am 22. Juni reisten wir bei Chief Mountain vom Glacier Nationalpark in den Waterton Nationalpark. Eigentlich ist es derselbe Park: Zwei Drittel liegen in den USA und heißen Glacier, ein Drittel in Kanada und heißt Waterton. Wieder die gleichen Fragen: Wie viele sind wir, haben wir Waffen dabei, wie sind unsere Reisepläne? Außerdem fragten sie nach Feuerholz. Ja, wir hatten welches dabei und mussten es abgeben. 

In wenigen Minuten waren wir durch. 

Grenze Kanada nach Alaska/PokerCreek

Am 10. Juli 2017, einem nebligen Vormittag, begrüßte uns die Grenzbeamtin mit: „Hello, how are you?“ Sie fragte, ob wir zu zweit sind, ob wir Haustiere, Waffen oder Tabakwaren dabei haben. Nach Lebensmitteln fragte sie nicht. Sie bewunderte unsere Weltkarte im Führerhaus und fragte, ob wir „all over the world“ reisen. Wir sagten, vorerst nur Nord- bis Südamerika. Sie erkundigte sich nach unserem Beruf und verschwand mit unseren Reisepässen. 

Drei Minuten später gab sie uns freudig die Pässe zurück und sagte, sie habe uns einen „special stamp“ gegeben: „because you made it :-)“ Ein Karibu ziert nun unseren Pass. 

Grenze Alaska - Kanada/Beaver creek

In Beaver Creek, nach fünf Minuten erledigt: Fragen nach Waffen, tierischen Produkten und unserer Aufenthaltsdauer. Der Beamte wollte wissen, wie man auf Deutsch fragt: „Wie lange willst du in Kanada bleiben?“ Wir gaben einen kurzen Sprachkurs und wurden mit „Willkommen in Kanada“ verabschiedet.

Grenze Kanada BC - Alaska /Dalton Cache

In Dalton Cache rollte der Officer aus dem Gebäude ins Zollhäuschen. Sonntags kommen hier offenbar nicht viele vorbei. „Where are you from?“ – „Germany.“ „What is this? A Mercedes?“ – „No, an Iveco, he is Italian.“ „You German guys driving an Italian vehicle? Seriously?! “ Der Officer hatte Humor. Er fragte, ob wir Lebensmittel aus Kanada dabei haben. Wir verneinten. Zum Abschied sagte er: „Enjoy Canada und Tschüss.“ Ja, er sagte wirklich „Tschüss!“ 

Wieder in fünf Minuten durch.

Grenze Alaska - Kanada /Fraser

Am 3. August 2017 in Fraser: Ein junger Officer und folgende Unterhaltung: 

„Where do you live?“ – „Switzerland.“ „Vehicle shipped over?“ – „Yes.“ „Where did you start?“ – „Baltimore.“ „When do you fly home?“ – „Next year August.“ „How many days will you stay in Canada?“ – „About three weeks.“ „Are you working while traveling or just took time off?“ – „No work, please! We took time off.“ „Have you more than 10,000 cash with you?“ – „Unfortunately not!“ „Doing everything with credit card?“ – „Yes.“ „Enjoy your time in Canada!“ – „Thank you.“

Grenze Kanada Victoria Vancouver Island nach USA/Port Angeles Washington

Am 26. August 2017 von Victoria, Vancouver Island, nach Port Angeles, Washington, USA per Fähre: Dieses Mal dauerte das Grenzübertritt etwas länger. Die Zeit wurde knapp. Am 3. Oktober sollten wir die USA nach Mexiko verlassen. Da unser Fahrzeug verspätet ankam, galt unsere Versicherung bis zum 10. Oktober. Wir hatten vor, an der Grenze um eine Verlängerung von zwei Wochen zu bitten. Die Grenzkontrolle fand bereits in Victoria im Hafen statt, während wir auf die Fähre warteten. Die ersten Fragen waren: „How many travelers?“ „Where do you live?“ „What are you doing for work?“ „How long do you wanna stay in the US?“

Dann kommt unser Einsatz. Wir sagen, dass wir am 3. Oktober draußen sein müssen und noch die Küste bis Mexiko hinunterreisen wollen. Ob er unser Visum um zwei Wochen verlängern könnte, weil wir zu viel Zeit in Alaska verbracht haben? Ich füge hinzu, dass der Sommer dort dieses Jahr besonders schön war, weil es so heiß war und es deshalb kaum Black Flies und Moskitos gab. Er hebt kurz die Sonnenbrille, schmunzelt und sagt: „Good to know.“ Zögernd fragt er dann, ob wir unsere Berufe, Arbeitsplätze und den Wohnort bestätigen können, und schickt uns ins Büro. Wir packen Papiere und Laptop ein und gehen hinein. Wieder stellen sie uns die gleichen Fragen, und wir erklären unser Anliegen erneut.

Der Officer schickt uns nach draußen und lässt uns warten. Ich denke, er will erst die anderen Reisenden abfertigen, weil wir den Verkehr aufhalten. Als niemand mehr ansteht, ruft er uns wieder rein und fragt weiter: Wo wir in die USA eingereist sind, wann wir wo und wie lange waren. Da muss man schon nachdenken, wenn man nicht mal weiß, welcher Wochentag ist. Er will wissen, ob wir unser Fahrzeug hierher verschifft haben, welches Fahrzeug wir fahren, was das verschiffen gekostet hat und wie lange das gedauert hat. Außerdem will er wissen, wie viel wir für die Reise gespart haben, bzw. was unser Budget ist. Geduldig warten wir, während er zwischendurch andere Reisende abfertigt. Er sagt, das kostet dann 6 Dollar pro Person, und wir können auch mit Kreditkarte bezahlen. Wir freuen uns, und noch mehr, als er sagt, er hat uns jetzt nochmal sechs Monate gegeben. Er tackert einen Zettel in unseren Pass und meint, den müssten wir abgeben, wenn wir nach Mexiko ausreisen. Er wüsste nicht, ob wir dann gleich anschließen nochmal ein drittes Mal sechs Monate bekommen könnten, das liegt im Ermessen des Officers. Wir packen unsere Unterlagen wieder zusammen, angeschaut hat er sie nicht.

Als wir alles verstaut haben, begutachten wir unsere Reisepässe und stellen mit Erstaunen fest, dass da „Germany (West)“ steht… Das ist ja nun doch schon 28 Jahre her!

Grenzübertritt von USA nach Tecate Mexiko

Am 9. Oktober geht es endlich nach Mexiko! Wir überqueren die Grenze in Tecate, da viele Reisende diesen Übergang als einfach und unkompliziert empfehlen. An der Grenze fahren wir, bis uns jemand stoppt. Ein junger Beamter fragt, ob wir Spanisch sprechen. Christoph sagt: „No.“ Ich antworte: „Un poco.“ Er bittet uns, die Schiebetür zu öffnen, wirft einen kurzen Blick hinein und fragt nach dem Fahrzeugschein und der Fahrgestellnummer. Christoph sucht, der Beamte wartet geduldig, doch als Christoph die Papiere findet, will er sie gar nicht sehen. Wenigstens wissen wir jetzt, wo sie sind. Der Beamte verabschiedet sich mit „Adios“ und geht.

Aber wo bekommen wir unser Visum und wie werden wir den weißen Zettel los, den sie uns bei der Einreise nach Washington in den Pass geheftet haben? Ich frage ihn, und er schickt uns zurück in die USA. Er erklärt, wo wir parken und entlanglaufen müssen. Wir fahren um die Ecke, parken unter einem Wellblechdach, wo unser Fahrzeug knapp passt. Ein anderer Beamter weist uns ein und sagt, wir dürfen nur 20 Minuten parken. Dass es 1,5 Stunden dauern würde, ahnten wir nicht. Wir laufen zurück in die USA, wo sie den Zettel entfernen, dann wieder Richtung Mexiko in ein Büro vor der Station, wo der Beamte nach der Fahrgestellnummer gefragt hat. Wir füllen einen Zettel mit Namen, Geburtsdatum, Passnummer, Reisegrund und Ziel in Mexiko aus. Der Beamte schickt uns zur Bank, erklärt freundlich, wohin wir als Nächstes müssen. Die „Bank“ sind zwei Schalter, wo wir das Visum bezahlen. Dann zurück zum Beamten, der uns den Stempel mit einer Aufenthaltserlaubnis für 180 Tage gibt.

Nebenbei bietet er uns Honig und Salsa an. Ich brauche einen Moment, um das zu verstehen, da ich nicht damit gerechnet habe, dass uns jemand etwas verkaufen will. Ich übersetze es für Christoph, und wir müssen uns das Lachen verkneifen. Die Situation ist so komisch, dass wir tatsächlich Honig und Salsa kaufen. Danach schickt er uns in die Apotheke zum Kopieren, denn wir brauchen eine Kopie des Visums, um das Auto einzuführen. Also in die Apotheke, die gleich neben dem Grenzdschungel liegt. Dann zurück zur „Bank“, um das Visum für unser Fahrzeug zu bezahlen. Das Formular muss zweimal ausgefüllt werden, weil sich die Beamtin vertippt hat. Genau kontrollieren, damit uns kein O statt einer 0 zum Verhängnis wird! Unser Fahrzeug darf jetzt 10 Jahre bleiben. Wir sind neidisch!

Nun brauchen wir noch eine Autoversicherung. Die Agenturen sind im Ort, und wir verlassen den Grenzdschungel. Im Büro der Versicherungsagentin fühlen wir uns wie auf einem Basar. Wir brauchen eine Versicherung für ein Motorhome. Sie schreibt 379 US-Dollar auf einen Zettel. Wüssten wir nicht von anderen Reisenden, was sie bezahlt haben, hätten wir uns nicht gewundert. Wir brauchen nur Haftpflicht, keine Vollkasko. Der Preis sinkt auf 279 US-Dollar. Immer noch zu viel! Wir sagen, dass Freunde weniger bezahlt haben. Sie sucht weiter und bietet uns schließlich die Versicherung für 227 US-Dollar für sechs Monate an. Ein Schnäppchen im Vergleich zur US-Versicherung für 1270 US-Dollar.

Pannen Bitte nur Freitags wenn am Montag Feiertag ist

Wir sind auf dem Weg nach Page, Arizona, einer Stadt im äußersten Norden des Bundesstaates, nahe der Grenze zu Utah. Unser Ziel: der atemberaubende Horseshoe Bend und der mystische Antelope Canyon. Doch unser dritter Platten durchkreuzt unsere Pläne. Ausgerechnet an einer Steigung in einer Kurve beschließt der Reifen, die Luft abzulassen. Schnell weichen wir auf den Schotter neben der Straße aus, um der Gefahrenzone zu entkommen.

Mittlerweile sind wir im Reifenwechseln geübt, doch die brennende Sonne der Wüstenlandschaft Arizonas macht die Arbeit nicht leichter. Wir müssen zudem aufpassen, dass wir uns nicht in einen der winzigen, überall verstreuten Kakteen knien. Das Ausrichten der Faltrampen und das Positionieren des Wagenhebers ist auf dem steinigen Untergrund eine Herausforderung, da unser Fahrzeug, Muggl, einfach zu viel Bodenfreiheit für unseren Wagenheber hat. Nach etwa einer halben Stunde ist der Reifenwechsel geschafft. Zum Glück ist der Verkehr auf den langen Strecken in Arizona nicht allzu dicht, sodass wir sicher auf die Straße zurückkehren können.

Nun heißt es durchhalten: Bis Page sind es noch gut 100 Kilometer, und unser einziger Reservereifen ist bereits im Einsatz. Ein kurzer Stopp beim Horseshoe Bend liegt jedoch drin. Diese beeindruckende Laune der Natur, eine enge Schlaufe des Marble Canyon, liegt kurz vor Page. Nach einem zehnminütigen Spaziergang durch die Wüste erreichen wir die atemberaubende Aussicht.

In Page angekommen, suchen wir zunächst einen Reifenhändler, der auch Schlauchreifen flickt. In den USA ist das selten, da es als gefährlich gilt und die Versicherung dafür zu teuer ist. Wir wurden schon mit den entsetzten Worten: „Reifen mit Schlauch? Nein, das machen wir nicht! Das ist ja illegal!“ abgewiesen. Diesmal haben wir Glück: Big O Tires kann uns helfen und der kaputte Reifen wird sofort repariert. Doch es gibt ein Problem: Manche Schlauchreifen haben zwischen Schlauch und Felge ein Inlett (Felgenband), und dieses ist ebenfalls beschädigt. Da es normalerweise nicht so leicht kaputt geht, haben wir keinen Ersatz dabei und die Werkstatt hat nichts auf Lager. Sie können es jedoch bestellen, was ein paar Tage dauert, denn es ist Freitag und am Montag ist Memorial Day.

Na bravo! Fünf Tage gefangen in Page, einer Stadt, in der nichts los ist und ringsum nur Wüste. Eigentlich wäre das nicht so schlimm, aber ohne Reservereifen können wir Muggl nicht riskieren. Wir vertreiben uns die Zeit und richten unser „Büro“ auf dem Parkplatz vor einem Subway ein, wo wir deren WLAN nutzen und unsere Homepage aktualisieren. Einen Nachmittag verbringen wir am Lake Powell, zwischen den größenwahnsinnigen Amerikanern in riesigen Wohnmobilen und ATVs (All-Terrain Vehicles, also Quads). Die Abkühlung im See tut gut. Zum Glück müssen wir nicht zwischen all den Wohnmobilen campen. Wir verbringen die Tage einige Kilometer außerhalb auf einer Recreation Area. Zwar bedeutet das hin und her Fahrerei, aber dort haben wir unsere Ruhe und gehen das Risiko ohne Reservereifen ein. Wo der Amerikaner keine Steckdose hat, campt er in der Regel nicht, es sei denn, er hat ein Aggregat. Wir haben Glück: Die meiste Zeit sind wir abends allein.

Am dritten Tag machen wir eine lustige Begegnung. Als wir an diesem Spätnachmittag aus Page zurückkommen, ist das Gelände komplett leer. Kein Camper, Zelt oder Auto, nur unter einem Baum im Schatten sitzt eine kleine Gestalt. Christoph fragt die Gestalt, ob alles in Ordnung sei und wie er hierher gekommen sei. Die Gestalt gibt zu verstehen, dass alles in Ordnung ist und er sich nur ausruhen würde. Carl aus Toronto, Kanada, wandert! Seit gut drei Monaten ist er unterwegs, eineinhalb hat er noch vor sich. Sein Rucksack mit Zelt, Schlafsack und Proviant wiegt nur sechs Kilogramm! Wir haben uns gerade im Supermarkt mit Steaks, frischem Gemüse und kaltem Bier versorgt und fragen Carl, was er zum Abendessen auf seiner Speisekarte stehen hat. Da er extrem an Gewicht einsparen muss, gibt es bei ihm meistens Päckchensuppen, die er mit Wasser auffüllt und von der heißen Sonne aufheizen lässt. Klingt lecker! Christoph fragt ihn, wann er das letzte Mal ein Steak gegessen hat, und ich muss euch nicht genauer beschreiben, wie Carl sich gefreut hat, als wir ihm anboten, mit uns Steak mit Salat zu essen. Als Christoph ihm noch ein kaltes Bier in die Hand drückte, war das für ihn der Himmel auf Erden. Er sprintete los, um Feuerholz zu sammeln, als wäre er an diesem Tag noch keinen Schritt gegangen. So verbringen wir zusammen einen langen, warmen Sommerabend am Lagerfeuer und erzählen uns Reisegeschichten. Carl fühlt sich sichtlich wohl in unserer Gesellschaft und bietet uns als Dessert Marshmallows an, die er dabei hat, da sie ja nichts wiegen. Am nächsten Morgen weckt er uns um sechs Uhr, damit wir uns verabschieden können, und marschiert davon.

Mittlerweile ist Dienstag, der 30. Mai, und das bestellte Teil sollte irgendwann im Laufe des Tages in der Werkstatt eintreffen. Daher haben wir den Termin erst für Mittwochmorgen vereinbart. Heute wollen wir den Antelope Canyon besuchen. Da die Touren am Memorial Day Weekend komplett ausgebucht waren, haben wir für Dienstagnachmittag reserviert. Also geht es erst einmal wieder nach Page, wo wir am Supermarkt noch einen Stopp einlegen. Beim Aussteigen vernehmen wir ein lautes PFFFFFFFFFFFF. Wir können zusehen, wie dem hinteren linken Reifen die Luft ausgeht. Das darf doch wohl nicht wahr sein! Was läuft denn verkehrt mit unseren Reifen oder Schläuchen?! Zum Glück ist die Werkstatt gleich um die Ecke. Also Kompressor raus, aufpumpen, hoffen, dass die Ampel grün ist, und um die Ecke. So stehen wir auf dem Parkplatz vor der Werkstatt und schauen zu, wie dem Reifen die Luft ausgeht.

Schläuche haben sie auf Lager, und so wird der Reifen ruckzuck repariert bzw. der Schlauch ausgetauscht. Wir können pünktlich zu unserer Antelope-Canyon-Tour aufbrechen. Zwischenzeitlich haben wir uns bei anderen IVECO-Fahrern und Schlauchreifen-erfahrenen Menschen erkundigt, was dazu führen könnte, dass uns immer die Luft ausgeht. Unsere Erkenntnis: Heutzutage werden eigentlich keine Schlauchreifen mehr hergestellt. Das bedeutet, die Innenseiten der Reifen sind nicht mehr so glatt wie früher und wetzen sich schneller ab. Also beschließen wir, die Schläuche, die wir austauschen, eine Nummer größer zu nehmen. Außerdem könnten die Schläuche, die wir montiert hatten, schon eine Weile oder falsch gelagert gewesen sein, sodass der Gummi nicht mehr so elastisch war. Wie auch immer, wir werden es im Langzeittest feststellen.

Am Mittwochmorgen erhalten wir endlich unser Inlett und die Werkstatt hat ordentlich mit uns zu tun. Mit komplett neuen Schläuchen verlassen wir kurz nach Mittag, machen einen letzten Stopp an der Tankstelle und verlassen die Wüstenstadt Page, um unsere Reise nach Norden fortzusetzen.

Komische Geräusche, tierische Entdeckungen und heisse Quellen

Kurz nach halb fünf weckt mich ein knisterndes Geräusch. Ich lausche, kann es aber nicht einordnen. Ich wecke Christoph und frage, ob er es auch hört. Er verneint, dreht sich um und schläft weiter. Das Geräusch verstummt, beginnt aber immer wieder. Es klingt wie ein leises Bitzeln, schwer zu beschreiben. Ich überlege, was es sein könnte. Plötzlich riecht es verbrannt. Ich springe auf, wecke Christoph, und wir suchen die Quelle.

Es kommt aus dem Küchenkästchen unter der Spüle, wo der Kühlschrank steht. Kein gutes Zeichen! Christoph zieht sofort die Sicherung. Wir räumen alles aus, was nicht fest verbaut ist: Bettzeug, Polster, alles unter dem Bett. Ich staple alles draußen auf Campingtisch und -stühlen und bin froh über den klaren Himmel und den Sonnenaufgang. Wir stehen idyllisch neben einem kleinen Bach. Wir packen das Werkzeug aus und bereiten uns auf alles vor. Die Rückwand des Kästchens muss weg, aber alles ist so kompliziert verbaut, dass man das halbe Auto zerlegen müsste. Auch die Arbeitsplatte lässt sich nicht entfernen, da der Wasserhahn angeschlossen ist und sie von unten mehrfach festgeschraubt wurde. Immerhin können wir die Platte so weit lösen, dass wir einen Blick hineinwerfen können. Die Schelle des Wasserhahns ist locker, Wasser tropft auf die Kabel und die Elektronik des Kühlschranks. Na bravo!

Hoffentlich ist nichts kaputt. Mit der Taschenlampe in der einen und Küchentüchern in der anderen Hand tupfe ich alles trocken. Ich ziehe die Schelle fest und forme aus einer alten Plastikverpackung eine Kappe, die wir mit Pattex über die Elektronik kleben. Dann rücken wir alles zurecht, schrauben es zusammen, stellen den Tisch wieder hinein, machen das Bett und räumen das Werkzeug weg. Fast eineinhalb Stunden dauert die Aktion. Als wir fertig sind, bemerken wir den herrlichen Tag. Die Sonne scheint, große gelbe Schmetterlinge flattern umher. Ein kleiner Trost für den morgendlichen Ärger, denn es ist mein Geburtstag, und so wollte ich ihn nicht beginnen.

Na ja, denke ich, wenn man an seinem Geburtstag früh aufsteht, hat man mehr vom Tag. Wir frühstücken gemütlich mit einer kleinen Flasche Champagner, die Christoph bei Aldi mit dem Kommentar „für einen besonderen Tag“ gekauft hat, und wandern dann zu heißen Quellen in den Bergen. Eine gute Stunde dauert die Wanderung. Unterwegs begegnet uns eine Klapperschlange! Ich gehe vorne, Christoph hinter mir, als ich links in den Blättern erst ein Rascheln und dann ein Rasseln höre. Ich sage nur: „Stop! Rattlesnake“ und halte die entgegenkommenden Wanderer auf. Eine gut eineinhalb Meter lange Klapperschlange schlängelt sich rasselnd vor uns über den Weg und verschwindet im Gebüsch. Einer der Wanderer meint, das sei der Wahnsinn! Er lebt sein ganzes Leben in Utah, geht viel wandern und hat noch nie eine Klapperschlange gesehen. Scheinbar sind sie gar nicht so häufig.

Als wir ankommen, erwartet uns noch eine Schlange, die wir als ungiftig einstufen. Sie ist schüchtern und verschwindet im Wald. Viele kleine Pools mit unterschiedlich warmen Temperaturen und ein eiskalter Wasserfall laden zum Verweilen ein. Dort, wo die Quellen entspringen, ist das Wasser so heiß, dass man es kaum aushält. Wir lassen uns einweichen, denn seit wir im Muggl wohnen, fallen die Duschen knapp aus. Auch hier flattern große gelbe Schmetterlinge, wir genießen die Sonne und hüpfen von Pool zu Wasserfall und zurück. Verschrumpelt und sauber wie lange nicht mehr machen wir uns auf den Rückweg zu unserem kleinen Bach, wo wir den Tag am Lagerfeuer ausklingen lassen. 

Wunderschönes Alaska

Über den Top of the World Highway reisen wir am 10. Juli von Dawson City (Kanada) über den nördlichsten Grenzübergang Nordamerikas, Polker Creek, nach Alaska (USA) ein. Das Wetter ist ausnahmsweise nicht auf unserer Seite: Nebel und Nieselregen verhüllen die Landschaft, die hier so atemberaubend sein soll. Doch Alaska überrascht uns bald mit heißen, sonnigen Tagen und glasklaren Seen. Wer hätte gedacht, dass wir in Alaska überwiegend kurze Hosen und T-Shirts tragen würden? An der Grenze fragt uns eine freundliche Beamtin, ob wir Haustiere, Waffen oder Tabakwaren dabei haben, was wir natürlich verneinen. Sie bewundert unsere Weltkarte im Führerhaus und fragt, ob wir die ganze Welt bereisen. Wir verneinen erneut und sagen: „Nein, erstmal nur Amerika, dann sehen wir weiter. “ Sie verschwindet mit unseren Reisepässen in ihrem Zollhäuschen und kehrt nach drei Minuten zurück, stolz verkündend, sie habe uns einen ganz speziellen Stempel in den Pass gestempelt: „because you made it! “ Jetzt ziert ein Karibu unsere Pässe, und wir sind ganz stolz.

Kurz bevor wir Kanada verlassen hatten, lernten wir Corinna und Reiner aus Ahrweiler bei Bonn auf einem kleinen Campingplatz kennen. Wir wollten uns nur kurz dazusetzen und Hallo sagen, plötzlich war es 1:00 Uhr morgens. Das kann schon mal passieren, wenn es nicht dunkel wird. Da wir nun in dieselbe Richtung reisen, werden wir die beiden künftig noch öfter sehen und viele Abende gemeinsam verbringen, manchmal verabredet, manchmal zufällig. Unser nächstes Ziel und die nördlichste Stadt, die wir auf unserer Reise besuchen werden, ist Fairbanks. Ursprünglich hatten wir nicht geplant, so weit nach Norden zu fahren. Wenn wir es nach Anchorage schaffen, ist das schon gut, dachten wir. Aber irgendwie machen wir es wie Forrest Gump: „Jetzt sind wir schon so weit gefahren, jetzt können wir auch noch weiterfahren. “

Fairbanks ist eine verschlafene Großstadt, und man fühlt sich hier wirklich wie am Ende der Welt. Man sieht sofort, dass die Winter hier lang und hart sind: Aus den Motorhauben der Autos hängen Kabel mit Steckern, die Heizmatten unter der Ölwanne, an den Dieselleitungen und dem Kühlsystem versorgen, damit im Winter nichts einfriert. Alle Parkplätze haben Steckdosen, an denen man sein Auto während des Einkaufs oder Zahnarztbesuchs anschließen kann. Wir campen zwei Nächte mit Corinna und Reiner auf dem Parkplatz der Universität. Manchmal muss man eben einfallsreich sein, wenn man keinen festen Wohnsitz hat. Ich finde sogar heraus, dass man das WLAN der Uni empfangen kann – und zwar ohne Passwort. Die Abende und Nächte sind nicht kalt, ein bisschen frisch, aber angenehm, was zum gemeinsamen draußen Kochen und Verweilen einlädt. Tagsüber, wenn die Sonne herauskommt, wird es sogar richtig warm, und wir besuchen den Bauernmarkt, wo wir regionale Spezialitäten wie Fireweed-Marmelade kaufen. Fireweed ist die Nationalblume von Alaska und blüht in einem wunderschönen Pink.

Von Fairbanks geht es jetzt nur noch Richtung Süden. Unser nächstes Ziel ist der Denali Nationalpark, in den man nur die ersten 15 Meilen mit dem eigenen Auto hineinfahren darf. Will man weiter oder sogar bis zum Ende, muss man das mit einem Tourbus machen, was einfach 92 Meilen (ca. 160 km) sind. Man landet in Kantishna, dem Ende des Nationalparks, und am Wonder Lake, der glasklar ist. Es ist zwar teilweise ein bisschen nervig, den ganzen Tag mit vielen anderen Touristen und einem ununterbrochen quatschenden Busfahrer zu verbringen, aber so weit hinten im Park ist die Natur noch total unberührt, sodass man sich damit arrangieren kann. Es gibt keinen Kiosk, keine Essensstände, keine Mülleimer. Man muss seinen Proviant selbst mitbringen und auch seinen Abfall wieder einpacken, was streng kontrolliert wird. Es liegt nicht der kleinste Müll herum, und nichts ist verschmiert oder sonst irgendwie verschandelt.

Wir sehen Bergziegen als kleine weiße Punkte auf den Hügeln, Grizzlies in der Ferne, die teilweise ihre Jungen dabei haben, Moose (Elche) versteckt im Gebüsch und jede Menge Karibus, die oft einfach auf der Straße stehen. Die Landschaft ist beeindruckend weit. Obwohl es ein bisschen bewölkt ist und sich der Mount Denali, der mit 4900 Metern der höchste Berg Nordamerikas ist, nicht richtig sehen lässt, sind wir begeistert. Auf dem Rückweg wird es still im Bus. Es war ein langer Tag, und alle sind müde, als wir plötzlich in einen Stau geraten. Wahrscheinlich wieder ein Karibu auf der Straße, denken sich alle im Bus. Doch als der Bus vor uns ausweicht, marschiert ein Wolf in unsere Richtung, legt sich etwa fünf, sechs Meter vor uns auf die Straße und wälzt sich auf dem Schotter. Er steht wieder auf, riecht am Boden, streckt sich und legt sich erneut hin, um sich wieder zu wälzen. Das macht er vier, fünf Mal. Dann läuft er langsam direkt an unserem Bus vorbei. Alle beobachten ihn staunend, und sogar der Busfahrer, der seinen Job schon seit 17 Jahren macht und kurz vor der Pensionierung steht, hat so etwas noch nie gesehen und zückt seine Kamera.

Wir lassen diesen gelungenen, aber anstrengenden Tag in der 49th State Brewery in Healy bei bestem Bier und Burgern ausklingen. Hier kann man übrigens den Filmbus aus dem Film „Into the Wild“ mit den Originalrequisiten besichtigen. „Into the Wild“: Für die, die den Film nicht kennen, ist die wahre Geschichte eines jungen Amerikaners, der in den 90ern sein Hab und Gut spendet oder verschenkt und dem erfolgsgetriebenen Leben, in das ihn die Gesellschaft sowie seine Eltern zwängen wollen, den Rücken kehrt. Er reist einige Jahre quer durch die USA und lässt sich im Herbst 1992 in einem alten Bus der Fairbanks City Verkehrsbetriebe nieder, den eigentlich Jäger im Sommer als Unterschlupf nutzen. Im Frühjahr darauf geht ihm der Proviant aus, und die späte Schneeschmelze wird ihm zum Verhängnis. Der „Magic Bus“, wie Alexander Supertramp ihn in seinem Tagebuch nennt, wird zur Pilgerstätte. Will man aber dem sogenannten Stampede Trail folgen, muss man gelegentlich einen Fluss überqueren, was nicht ungefährlich ist. Da erst vor einem Jahr eine junge Schweizerin bei dem Versuch, den originalen Magic Bus zu erreichen, ertrunken ist, hat die Brauerei kurzerhand den Bus von der Filmgesellschaft gekauft, sodass sich nun niemand mehr für ein Erinnerungsfoto in Lebensgefahr begeben muss.

Weiter geht es für uns den George Parks Highway hinunter Richtung Süden, wo wir am Ufer des Susitna River einen schönen Platz zum Campen finden. Der Fluss macht an dieser Stelle eine Kurve, und eine graue Sandbank bietet guten Untergrund zum Stehen. Außenrum liegt genügend Treibholz, um ein Lagerfeuer zu machen, und somit die beste Gelegenheit, mal wieder Brot zu backen. Es ist unter der Woche und sehr ruhig. Am Wochenende sieht das hier sicher anders aus, und während wir den Nachmittag am Flussufer genießen, treibt sogar ein Biber vorbei. Ich musste zweimal hinschauen, da sich das Holzstück, das ich glaubte zu sehen, plötzlich bewegte.

Anchorage hat uns nicht besonders begeistert, obwohl die gelben Straßenlaternen und die blau blühenden Blumenampeln in Muggl-Farben dekoriert sind. Wir verbringen nur einen Nachmittag dort. Wir wollen auf die Kenai-Halbinsel, wo wir einmal mehr mit dem Wetter Glück haben. Auf dem Weg dorthin regnet es zwar noch und es ist dunkel bewölkt, aber mit uns kommt auch die Sonne an (woher auch immer), und wir parken Muggl ganz am Ende des Spits und spazieren am Hafen entlang. Außenrum schneebedeckte Hügel und Berge, Fischkutter liegen an den Pieren, die Fischer zeigen stolz ihre gefangenen Heilbutte, und Seeadler kreisen durch die Lüfte. Wir schauen begeistert zu, wie schnell und mit welcher Geschicklichkeit sie ihre Heilbutte zerteilen. Ein einzelner Fisch hat etwa 1,50 m Länge! Ein Stück im Inneren der Halbinsel finden wir ganz zufällig eine kleine Einfahrt am Rande der Landstraße. Ich rufe einfach: „Hier rechts! “ und wir landen auf einer kleinen Lichtung an einem Bach zwischen Tannenbäumen und Fireweed, welches auf Deutsch übrigens Schmalblättriges Weidenröschen heißt. Die Abendsonne taucht unser heutiges Zuhause in ein warmes Licht, und obwohl uns alle vor Moskitos und Blackflies in Alaska gewarnt haben, lassen diese sich bisher zu unserer Freude nicht blicken, was auch heute so bleiben soll.

Als nächstes soll es nach Kenai Village gehen. Ich hatte irgendwo gelesen, dass Old Town schön sein soll, was aber in unseren Augen nicht so ist. Trotzdem ist irgendwie etwas los in diesem kleinen, verschlafenen Ort. Wir folgen der Menge und landen an der Küste, wo der Kenai River ins Meer mündet und wir von den Dünen herab ein reges Getümmel am Strand entdecken. Wir parken das Auto und mischen uns unter die Menge, um herauszufinden, was da los ist. Menschen in Gummihosen und riesigen Keschern stehen teilweise bis zum Hals im Wasser. Was sie da fangen, können wir auf den ersten Blick nicht erkennen. Und warum alle auf einmal? Ein Wettbewerb? Es ist der 21. Juli und die Laichzeit der Lachse. Drei Wochen um diese Zeit des Jahres dürfen die Alaskaner ihren Jahresbedarf an Lachs fischen. Die Regel: nur mit dieser Art Kescher und ‚nur‘ 25 Stück Lachs pro Familie plus 10 Stück Lachs pro Kind. Das macht z.B. für eine fünfköpfige Familie 55 Lachse! Aber ja kein Stück zu viel, das wird nämlich kontrolliert und bestraft, wenn man zu viel mitnimmt. Wir schauen ungläubig zu, wie die Männer und auch Frauen stolz ihre riesigen Lachse aus dem Wasser ziehen. Teilweise ist das ein richtiger Kampf, und die geschickte Drehung des Keschers lässt den Lachs darin nicht mehr entkommen. Die Lachse werden vor Ort mit einem kleinen Knüppel und gezieltem Schlag auf den Kopf getötet, an Ort und Stelle ausgenommen, zerteilt und in Kühlboxen verfrachtet. Ich muss zugeben, kein schöner Anblick, aber so ist das nun mal, und so wird es hier seit Jahrzehnten praktiziert. Dazwischen spielen und rennen Kinder herum, als wäre es das Normalste auf der Welt, was es für sie wohl ist – so ähnlich wie wenn man bei uns auf einem Bauernhof aufwächst. Ich kann mich noch gut erinnern, als meine Oma damals Hühner geschlachtet hat

Unser Schlaf- und Rastplatz für die nächsten Tage soll der Kenai Lake werden. Steil soll es zum Südufer hinuntergehen, und man bräuchte 4×4, haben wir uns sagen lassen. Kein Problem, und wir freuen uns, weil dann natürlich die Chancen gut sind, dass dort nicht allzu viel los ist, denn es ist Samstag. Es geht tatsächlich steil hinunter und felsig ist der Weg, aber noch nicht mal unten angekommen, sehen wir ein Fahrzeug nach dem anderen, normale PKWs, und wir fragen uns, wie sind die hierher gekommen oder besser, wie kommen die da wieder hoch? Was uns in den USA immer wieder überrascht hat: Die Straße kann noch so schlecht sein, die Amerikaner sind offenbar recht schmerzfrei und fahren mit ihren Autos überall hin. Im besten Fall schleppen sie auch noch einen Wohnanhänger mit. Eine Hochzeit im kleinen Kreis findet heute am Kenai Lake statt, und wir lassen uns erklären, das wäre eine beliebte Kulisse für Hochzeitsfotos. Na dannWir finden am Ende der Bucht noch ein Plätzchen, und weil es ein langer Tag war, wollen wir sowieso nur noch schlafen. Am Sonntagvormittag brechen die meisten, also fast alle, schon wieder auf. Es quietscht und scheppert, als sie sich den Weg nach oben bahnen. Motoren heulen, und wäre es nicht taghell, würden wir die Funken sprühen sehen, da bin ich mir sicher. Wir ziehen für die nächsten zwei Tage um, und zwar an das andere Ende der Bucht, wo wir einen etwas breiteren Kiesstrand haben und wo sich niemand direkt neben uns parken kann. Abends machen wir Lagerfeuer und grillen, tagsüber genießen wir die Sonne und das blaue, eiskalte (12 Grad) Wasser des Kenai Lakes.

In Seward angekommen, parken wir erstmal am Visitor Center, um uns einen Überblick über die Gegend zu verschaffen. Wen erspähen wir am nahegelegenen Supermarktparkplatz? Corinna und Reiner, die wir mittlerweile Team Reico nennen. Ich flitze hinüber, und wir verabreden uns zum Campen in einem ausgetrockneten Flussbett entlang der Exit Glacier Road. Corinna, die bei den beiden die meiste Zeit fährt, traut sich schon ziemlich viel, denn das Flussbett ist sehr steinig, und sie sind ja mit einem normalen Camper (Citroën) unterwegs. Wir sind stolz! Dort lernen wir noch Ludwig und Uschi aus Regensburg kennen, die auch im Camper auf Reisen sind. Ja, die Welt der Reisenden ist klein. An diesem Abend kochen wir zu sechst am Lagerfeuer. Es gibt fangfrischen gegrillten Lachs mit Remoulade und Kartoffeln, Obstsalat als Nachspeise. Außerdem backen wir noch Zimtschnecken und Brot im Dutch Oven. Am nächsten Morgen regnet es ein wenig, und unsere Wege trennen sich wieder. Wir wollen heute noch auf den Gletscher wandern. Als wir uns gerade Frühstück machen, späht auf einmal jemand zur Tür rein und sagt: „Guten Morgen, fahrt ihr zufällig zum Exit Glacier? “ Isabelle aus Hamburg ist mit Rucksack und Zelt unterwegs – und zwar alleine! Also rücken wir zusammen, frühstücken erstmal und nehmen sie dann mit zur Wanderung auf den Gletscher. Es hat aufgehört zu regnen, und die Sonne kommt raus, sodass wir bei bestem Wetter und Sicht bis zum höchsten Punkt hochsteigen können. Sogar ein Schwarzbär und ein paar Murmeltiere lassen sich blicken, allerdings ganz in der Ferne.

Nach Haines ist es nun ein ganzes Stück Fahrt, die uns über den letzten Abschnitt des Alaska Highways und über Kanada wieder nach Alaska in den kleinen, verschlafenen Ort führt. 880 Meilen sind das, also 1416 km, aber nach Haines wollen wir unbedingt, denn dort sind Bären garantiert! Die Entfernungen hier sind unglaublich, und man kann es sich gar nicht vorstellen, wenn man noch nie hier unterwegs war. Kaum angekommen, führt uns unser Weg entlang des Chilkoot River bis zum Chilkoot Lake am anderen Ende des Ortes. Dort sollen sie sein, die Grizzlies. Wir parken und warten, und schon nach etwa 10 Minuten werden die Leute, ortsansässige Fischer und ein paar Touristen, unruhig und springen zurück in ihre Autos. Zwei junge Grizzliebrüder laufen im kniehohen Wasser den Fluss entlang, fangen im Vorbeigehen Lachse und verspeisen sie genüsslich. Das Publikum versteckt sich hinter Autotüren und beobachtet gespannt, was passiert. Die zwei Bären sind etwa drei Jahre alt, sagt man uns, und wurden in diesem Frühjahr von der Mutter verjagt, weil sie neuen Nachwuchs bekommen hat. Sie laufen und plantschen bis zum Ende des Flusses, wo dieser aus dem See entspringt, und dort, wo das Wasser tiefer wird, wird eben geschwommen. Als sie genug geschwommen und geplantscht haben, kommen sie an Land. Dort, wo die Bootsrampe ist, ist es leicht auszusteigen. Die Leute springen in ihre Autos und verriegeln die Türen. Die zwei Brüder sind schnell und erkunden alles ganz genau. Picknickbank und -tisch riechen nach Essen und wollen genau inspiziert werden. Da kann man schon mal einfach drüber spazieren. Nachdem nichts zu finden ist und die beiden ja sowieso schon einen Lachs nach dem anderen verspeist haben, verschwinden sie kurzerhand hinter uns im Wald. Was für ein Spektakel, wir sind sprachlos!

Für die Nacht suchen wir uns eine kleine Parkbucht zwischen Flussufer und der schmalen Straße, die zum See führt, und übernachten dort. Mitten in der Nacht werden wir von einem sehr lauten Schnauben aufgeweckt – und zwar beide. Es hört sich an, als wären die beiden Bärenbrüder wieder unterwegs und schnüffeln hinter Muggl, genau dort, wo wir schlafen. Hoffentlich muss ich diese Nacht nicht aufs Klo! Den nächsten Tag verbringen wir ganz am See und am Fluss. Es gibt weiter vorne ein Metallgatter im Fluss, das von den Einheimischen die Sushi Bar genannt wird. Hier kommen Bären auch tagsüber sehr gerne, um Lachse zu verspeisen. Somit ist daneben an der Straße ein Bereich gesperrt, wo man nicht parken oder stehen darf. Von dort kommen nämlich die Bären aus dem Wald, um ihre Mahlzeiten einzunehmen. Am Mittag fischt dort eine ausgewachsene Bärendame, und die Sushi Bar heißt deshalb Sushi Bar, weil die Bären die gefangenen Lachse ganz leicht gegen das Gitter drücken können und so einfach fressen können. Die Bärendame fasst einfach ins Wasser und holt einmal mit der rechten Tatze und einmal mit der linken Tatze einen Lachs heraus. Man könnte ewig dabei zusehen Diese Nacht campen bzw. parken wir am Chilkoot Lake, obwohl dort Campen eigentlich verboten ist. Das ist offiziell das erste Mal, dass wir bewusst illegal übernachten… naja, „wo kein Kläger, da kein Richter“, und es hat uns nachts auch keiner rausgeklopft. Es war sogar so ruhig, dass ich glaube, es ist nicht mal ein Bär vorbeigekommen, außer Christoph. Der hat Unruhe gestiftet, der hat nämlich in manchen Nächten Hummeln im Hintern und es fällt ihm schwer, zwei Sekunden still zu liegen. Ich sag euch, das kann ganz schön nervig sein bei einem nur 1,80 m auf 1,20 m kleinen Bett, und außerdem wackelt dann auch der ganze Muggl.

Von Haines aus nehmen wir die Fähre nach Skagway und sparen so eine lange Fahrt. Zwei Stunden später erreichen wirden Hafen, umgeben von riesigen Kreuzfahrtschiffen. Skagway ist ein beliebtes Ziel für Kreuzfahrten, was mich überrascht, da ich von AlaskaKreuzfahrten bisher nichts gehört hatte. Warum nicht? In Skagway werden wir kreativ beider Suche nach einem Übernachtungsplatz und landen auf dem Friedhof. Das klingt schlimmer, als es ist: Der Gold Rush Cemetery wurde bis kurz nach der Jahrhundertwende genutzt. Da er unterhalb eines Hangs liegt und teilweise von einem Erdrutsch verschüttet wurde, ist er quasi geschlossen. Er wirkt wie ein Friedhof aus einem Wildwestfilm, mit einfachen Holzkreuzen und schiefen Grabsteinen. Als wir ankommen, fällt das sanfte Nachmittagslicht durch die Bäume und tauchtdie Gegend in eine magische Stimmung. Ein Spaziergang führt uns über einen kleinen Pfad zu einem Wasserfall, der auseiner schmalen Schlucht im Berg entspringt. Am Parkplatz gibt es ein Plumpsklo, und nachts ist es ruhig. Was will manmehr? Es bleibt ruhig bis 8:00 Uhr morgens, dann kommen die Touristenbusse und der historische Zug zum White Pass fährt los.
 
In den nächsten Tagen zieht es uns wieder in die Wildnis. Wir folgen der Dyea Road ein Stück nach Norden, wo einkleiner Fluss in die Bucht mündet. Christoph hat am Straßenrand Pilze entdeckt und stürmt in den Wald, während ich zumFluss und zur Brücke gehe. Dort angekommen, bin ich sprachlos: Der Fluss wimmelt von Lachsen, die dicht gedrängt ihre Eier ablegen. Ich wusste, dass es das hier um diese Zeit gibt, aber wir hatten es nicht gezielt gesucht. Umso schöner, eszufällig zu finden. Ich frage einen Guide, der mit einer Touristengruppe ankommt, ob es hier Bären gibt. Ja, gleich dahinter dir! sagt er. Erschrocken drehe ich mich um, sehe aber keinen Bären. Er lacht und erklärt, die Bären kommen nurnachts, tagsüber ist es ihnen zu belebt. Aha! Wir fahren weiter entlang der Dyea Road und campen mit Lagerfeuer aneinem schönen Fluss, wo uns die Jeepsters überraschen. Die Jeepsters sind eine hawaiianische Familie: Sam, Lucie unddie dreijährige Tochter Kali, unterwegs im 1966er Jeep namens Jeepster mit Dachzelt. Da der Guide am Lachsfluss erklärt hatte, dass die Bären nur nachts kommen, stehen wir am nächsten Morgen um 4:00 Uhr auf und warten. Doch die Bären lassen sich nicht blicken. Für uns geht es von Skagway zurück ins Landesinnere und damit nach Kanada

Irgendwo im Nirgendwo, ein seltsames Geräusch und Weltuntergangsstimmung

Muggl ist mit Diesel und Wasser vollgetankt, Lebensmittel und Getränke sind aufgefüllt. Wir sind bereit für das Outback! Am 7. Juli fahren wir auf den Dempster Highway, der von Dawson City nach Inuvik, der nördlichsten Stadt Kanadas, führt. Diese einsame, breite Straße ist nicht asphaltiert und wird hauptsächlich von großen Trucks als Transportweg genutzt. 

Auf dem Weg zu unserem ersten Etappenziel sehen wir endlich unseren ersten Elch, beziehungsweise Moose. Die Bezeichnungen sind hier etwas verwirrend: Das riesige Tier mit dem rundlichen Geweih heißt bei uns Elch, in den USA und Kanada jedoch Moose. Elch (Elk) bezeichnet dort eine größere Hirschart, die schwer zu finden ist. Das Verhältnis von tatsächlich gesichteten Tieren zu Warnschildern entlang der Straße liegt bei etwa 1:1 Million. Wir dachten schon, es gäbe sie gar nicht und die Schilder stünden nur zum Spaß da. Als wir an einem Tümpel neben der Straße vorbeifahren, sehe ich einen Fellberg und denke noch, die haben aber große Biber hier! Als ich das zweite Tier entdecke, wird mir klar, dass es ein Moose ist. Ich schreie: „Stop! Moose!“ Christoph hält sofort an und setzt zurück. Das, was ich für einen Riesenbiber hielt, waren tatsächlich nur die Schulterblätter eines gerade abgetauchten und Seegras fressenden Moose. Da stehen also zwei dieser mysteriösen Tiere in voller Pracht und Größe vor uns. Aussteigen mag man da nicht, auch wenn es nicht so aussieht, angeblich können sie aber ganz schön schnell werden.

An diesem Freitag fahren wir 160 km, bevor wir uns in einem trockenen Flussbett ein Plätzchen zum Übernachten suchen. Es ist schon spät, aber noch heiß und hell. Sommer in Kanada bedeutet, dass es nicht dunkel wird – überhaupt nicht. Es dämmert bestenfalls ein bisschen zwischen 1:00 und 2:00 Uhr morgens, das war’s. Das letzte Auto haben wir vor Stunden gesehen, und an diesem ‚Abend‘ fährt nur noch ein LKW an uns vorbei. Da es nicht dunkel wird, gehen auch die Moskitos nicht ins Bett. Uns fehlt noch der Moskitoschutz an der Schiebetür, denn bisher hatten wir mit den Biestern ziemlich Glück. Ich schneide im Eiltempo das Netz zu und befestige es mit Klettverschluss an der Tür. Jetzt können wir komplett auf Durchzug stellen und es lässt sich einigermaßen aushalten.

Wir hätten nicht gedacht, dass Sommer in Kanada so heiß sein kann, aber dieser Sommer ist auch überdurchschnittlich heiß und sonnig, sagen uns die Einheimischen. Wegen der Hitze und Trockenheit hat Kanada große Probleme mit Waldbränden. Wenn wir Richtung Norden schauen, ist der Himmel orange-rosa. Da es nicht dunkel wird, kann man hier bis Mitternacht ohne Licht ein Buch lesen und wird auch gar nicht müde. Nach ein paar Wochen fühlt sich das wie ein dauerhafter Jetlag an und ist ziemlich anstrengend. Also sitzen wir um 23:30 Uhr noch im Muggl und lesen. Absolute Stille um uns, bis ich ein Geräusch höre. Es nähert sich langsam und ich frage mich, was das wohl ist. Es klingt wie Steine oder Stöckchenklappern und hört nicht auf. Christoph hört wie immer nichts und ich schaue bei jedem Fenster angestrengt hinaus. Obwohl es noch fast taghell ist, sehe ich nichts. Ihr könnt euch einen sonnigen Spätnachmittag im Hochsommer vorstellen, so um halb fünf – so ist es um halb zwölf nachts im Juli in Kanada!

Das Geräusch kommt näher und ich erinnere mich, dass andere Reisende im letzten Jahr hier einen Wolf gesehen haben. Die Spannung steigt, denn das Geräusch kommt direkt auf uns zu. Es ist nun so laut, dass ich sagen kann, da läuft etwas auf Steinen und es muss groß sein, weil es langsam echt laut wird. Christoph hört immer noch nichts und ich verstehe nicht, wie man den Lärm nicht hören kann! Ich bin langsam ganz schön aufgeregt und gespannt, was da auf uns zukommt. Gerade als Christoph mich für verrückt erklären will, sehe ich, was den Lärm verursacht, und muss laut lachen. Es sind Ziegen! Eine ganze Herde kleiner Ziegen, ganz kleine, etwas größere, alte, junge und ganz schön viele. Zählen konnte ich sie nicht, aber sie marschieren in etwa fünf Metern Entfernung alle der Reihe nach an Muggl vorbei. Damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet, vor allem weil es diese Art Ziegen hier eigentlich gar nicht gibt. Die Leute, denen wir danach davon erzählt haben, wissen auch nichts von Ziegen dieser Art hier. Wie auch immer, wir gehen nach der Aufregung ins Bett und beschließen, wann immer wir am nächsten Morgen wach werden, aufzustehen und weiterzufahren. Das war dann um 3:00 Uhr.

Weit kommen wir aber nicht, denn etwa 40 km weiter ist die Straße wegen Waldbränden gesperrt, genauer gesagt Steppenbränden, denn viel Wald gibt es hier oben nicht mehr. Die Vegetation so hoch im Norden ist schon ganz anders. Neben der Straßensperre ist eine Einfahrt zu einem großen Kiesplatz. Dort warten zwei große Trucks und ein PKW. Einen der Trucks erkennen wir als den letzten, den wir am Vorabend an uns vorbeifahren sahen. Demnach muss die Straße schon eine Weile gesperrt sein. Wir hatten gehört, dass entlang des Dempster Highways Feuer ausgebrochen sind und dass er teilweise, vor allem nachts, von Norden her gesperrt wird, um Unfälle durch die schlechte Sicht zu verhindern. Wir beschließen, maximal zwei Stunden zu warten, frühstücken erst einmal und machen dann noch ein Nickerchen. Etwa eineinhalb Stunden später ist die Straße offen und wir fahren weiter. Hunderte von Kilometern Schotterstraße liegen vor uns. Zu unserer Rechten sehen wir abgebrannte kleine Tannen. Richtig hoch wachsen die hier ja nicht, übrig ist davon nur noch ein schwarzer Stängel. Sie sehen aus wie überdimensionale abgebrannte Streichhölzer. Der Wind kommt von Westen und bläst den Rauch somit von uns weg. Wir haben gute Sicht, beschließen aber, nicht bis nach Inuvik zu fahren, weil wir das Risiko, dort hängen zu bleiben, nicht abschätzen können, sollten sich die Wildfire ausbreiten. Unsere endgültige Destination an diesem Tag ist der Arctic Circle, also der Polarkreis, was auch der nördlichste Punkt unserer Reise ist. Dort machen wir am Schild ein Erinnerungsfoto von uns dreien (wir zwei und Muggl), dann geht es auch schon wieder zügig zurück.

Die Rückfahrt wird weniger entspannt, weil in der Zwischenzeit der Wind gedreht hat und den Rauch jetzt direkt über den Highway bläst. Wir sehen nichts, und zwar gar nichts. Teilweise arbeiten wir uns in Schrittgeschwindigkeit zurück. Die Fenster haben wir zu, und trotzdem haben wir das Gefühl, nicht gut atmen zu können. Den dichten Rauch können wir zum Glück schnell hinter uns lassen, aber die ganzen 400 km unseres Rückwegs sind aufgrund eines neuen Richtungswechsels des Windes ziemlich verraucht. An diesem Tag fahren wir knapp 700 km und sind froh, am Ende des Highways wieder einigermaßen frische Luft atmen zu können. Das meiste von unseren Vorräten haben wir, mit Ausnahme des Sprits, nicht gebraucht, aber man weiß ja nie, was passiert, wenn man in Kanada einsame Strecken fährt.

Ein nächtlicher Besucher

Da der gestrige Tag lang war, sind wir früh ins Bett gegangen

Es ist Mittwoch, der 9. August, kurz vor halb eins morgens, als ich Geräusche höre. Ich schaue bei jedem Fenster mehrmals hinaus, um den Unruhestifter zu entdecken. Obwohl Vollmond scheint und die Nacht klar ist, sehe ich nichts. Es wird ruhig, und ich lege mich wieder hin. Nach ein paar Minuten geht es weiter: Es scharrt, kratzt und klopft. Oben, unten, an den Seiten. Ich überlege, was das wohl sein könnte: ein Waschbär auf dem Dach, ein Stachelschwein unter dem Auto, ein Eichhörnchen, das die Wände hochklettert. Wieder stehe ich auf, suche und sehe nichts. Wieder lege ich mich hin. Die Geräusche scheinen überall zu sein und näher zu kommen.

Eine Invasion? Werden wir belagert? Das kann doch nicht sein! Welches Tier ist so schnell? Irgendetwas flitzt Speedy Gonzales-mäßig über das Auto? Durchs Auto? Durch die Verkleidung? Ich denke, ich höre schlecht. Plötzlich raschelt es unter der Motorhaube. Ha! Vielleicht ein Marder! Ich bin mir sicher und wecke Christoph, der bis dahin friedlich geschlafen hat. „Mach mal den Motor an, ich glaube, da macht sich ein Marder über die Kabel her. “ Er hört das Rascheln und Kratzen auch, lässt den Motor an, und tatsächlich: Wir können das Tierchen so zumindest aus dem Motorraum verscheuchen, und es plumpst in den Fußraum des Beifahrers! Es ist eine klitzekleine Maus! Damit hätten wir nicht gerechnet, dass so ein kleines Viech so viel Aufregung verursachen kann. Aber jetzt ist sie da und sofort wieder weg. Sie hat tatsächlich den Weg in die Isolierung gefunden und es scheint ihr dort zu gefallen. Sie saust von vorne nach hinten, von oben nach unten und schaut gelegentlich mal hier, mal da bei einem Schlitz oder Loch heraus. Sie scheint uns sagen zu wollen: „Hier bin ich, ihr kriegt mich nicht, ich ziehe jetzt hier ein! “ Na bravo! 

Wir sitzen auf dem Bett und überlegen, wie wir diesen kleinen Rowdy wieder loswerden können, während sie fröhlich das Führerhaus erkundet, über den Beifahrersitz hoch bis zur Kopfstütze und wieder herunter klettert. Schließlich bauen wir aus einer Plastikbox, aufgestützt auf eine Wäscheklammer, eine Falle. Als Köder dient ein Keks, der ungefähr dreimal so groß ist wie die Maus. Beim ersten Versuch bin ich zu schnell, die Maus war noch nicht ganz drin und kann entwischen, bevor die Falle zuschnappt. Es dauert nicht lange, und das verfressene Mäuschen kommt wieder. Schon beim zweiten Versuch sitzt sie in der Falle! Es ist halb fünf. Sie weiß gar nicht, was mit ihr passiert, und schaut skeptisch. Damit sie da auch ja nicht herauskommt, stellen wir den vier Kilogramm schweren Kompressor auf die Box. Man weiß ja nie. 

Wir lassen sie erst am Morgen frei, kurz bevor wir wegfahren, damit sie ja nicht wieder zurückkommt. Schlafen lässt sie uns aber nicht mehr. Sie nagt am Keks, um sich zu stärken, und versucht dann, sich aus ihrer Falle auszugraben, was ihr natürlich nicht gelingt, aber einen riesen Lärm macht sie. Am Morgen stelle ich sie auf den Picknicktisch. Sie scheint müde zu sein, kein Wunder, hat ja auch die Nacht durchgemacht. Jetzt tut sie uns fast ein bisschen leid, wie sie da sitzt. Bevor ich sie aus der Box lasse, sage ich noch zu ihr: „Überleg es dir nächstes Mal gut, ob du nochmal in einen Camper einziehen willst. “ Ich bilde mir ein, sie hätte genickt. Als ich die Box hochhebe, sitzt sie erst noch einen Moment wie versteinert da, bevor sie wieder Speedy Gonzales-mäßig in den Büschen verschwindet.

Nach Arizona anstatt Alaska – ein lohnenswerter Umweg

Wie wir vom Umweg nach Arizona wieder auf den richtigen Weg finden und dabei die schönsten Nationalparks entdecken

Nach Alaska wollten wir ursprünglich, doch nun sitzen wir in Arizona am Lake Mead und studieren die Karte, um die beste Route Richtung Norden zu finden. Im Nachhinein erweist sich unser Umweg als Glücksfall. Zwar wird unser Tachostand um geschätzte 6500 Kilometer steigen, doch dafür liegen nun einige spektakuläre Nationalparks und Sehenswürdigkeiten auf unserer Route, die wir sonst verpasst hätten – und das wäre wirklich schade gewesen. Wir müssen nicht einmal von der Strecke abweichen, denn sie liegen alle direkt auf unserem Weg!

Da wir nun schon hier unten sind, haben wir die Gelegenheit genutzt, um Las Vegas zu besuchen. Im Mai ist es hier nicht so heiß wie im August oder September, und den Abstecher nach Las Vegas hatten wir ohnehin auf dem Weg nach unten geplant. Ich war schon einmal dort, für Christoph ist es das erste Mal. Ich finde, Las Vegas muss man einmal gesehen haben, wenigstens einmal. Und wie ihr alle wisst: „What happens in Vegas, stays in Vegas. “ Deshalb werde ich mich dazu auch nicht weiter äußern.

Nach Las Vegas besuchen wir den Hoover Dam, machen einen Rundflug über den Grand Canyon und campen drei Tage am Lake Mead, bevor wir uns wieder auf den Weg machen. Der erste Nationalpark auf unserer Strecke ist der Zion Nationalpark. Mit seiner roten, felsigen Erde und dem Grün der Bäume und Büsche bietet er ein wirklich beeindruckendes Bild. Leider ist gerade Ferienzeit (Ende Mai) und es ist unglaublich viel los. Wir entscheiden uns für nur eine Wanderung und da wir in Sachen Bergsteigen fit sind, wählen wir den „Angels Landing“. Mit seinen knapp 500 Höhenmetern (insgesamt ist er 1.765 Meter hoch) ist er eine Herausforderung, vor allem weil davor gewarnt wird, dass man unbedingt schwindelfrei sein sollte.

Um 8:00 Uhr machen wir uns auf den Weg, was sich als zu spät herausstellt. Zwar sind noch nicht viele Menschen unterwegs, aber als wir uns auf den Rückweg machen, kommen uns ganze Horden entgegen. Wenn man es bis zur hintersten Stelle der Plattform ganz oben geschafft hat – das letzte Stück muss man an einer Kette entlang gehen, was ich mit meinen spärlichen alpinen Kenntnissen als leichten Klettersteig einstufen würde – blickt man fast 500 Meter senkrecht nach unten. Kein Wunder, dass man schwindelfrei sein sollte!

Auf dem Rückweg begegnen wir einer zitternden Chinesin, die sich an der Kette festklammert und fragt, ob es noch weit sei. Wir raten ihr, umzukehren, wenn sie jetzt schon solche Angst hat, denn es wird immer steiler. Doch sie dreht nicht um und hält den Verkehr auf. Hauptsache, man kann danach sagen, man war oben. Trotzdem war es schön da oben, und für uns war nicht die Höhe oder die steilen Abgründe das Schlimmste, sondern die Menschenmassen.

Etwas außerhalb des Zion Nationalparks in Richtung Osten finden wir an einem kleinen Bach mit Sandstrand einen wunderschönen, ruhigen Platz zum Campen. Dort bleiben wir vier Tage, um uns nach der vielen Fahrerei zu erholen und die Sonne zu genießen. Als wir ankommen, baut gerade jemand sein Zelt auf. Ob es ihn störe, wenn wir unser Lager neben ihm aufschlagen, frage ich. „Nein, gar nicht“, antwortet Bruce, ein pensionierter Lehrer aus Vancouver, der für einige Wochen mit dem Motorrad unterwegs ist. Den Abend verbringen wir zusammen und erzählen uns Reisegeschichten bei Kaiserschmarrn mit Früchtekompott. Da Bruce’s Platz begrenzt ist, bestehen seine Mahlzeiten eher aus Fertignudeln und Päckchensuppen. Sein erster Kaiserschmarrn ist daher eine willkommene Abwechslung, und er lädt uns ein, ihn in Vancouver zu besuchen. Wir sollen uns kurz vorher melden, wenn wir in der Nähe sind.

Ach, wir hätten ewig bleiben können. Dieser Ort ist schon jetzt einer unserer Lieblingsplätze, nicht zuletzt wegen der nahegelegenen Bäckerei Forscher, die köstliches Roggenbrot im Holzofen backt, wie man es aus Bayern kennt. Doch unser Ziel heißt Ushuaia! Auf dem kurzen Weg vom Zion Nationalpark zum Bryce Canyon Nationalpark passieren wir den Horseshoe Bend. Diese beeindruckende Laune der Natur liegt kurz vor Page im Norden Arizonas, nahe der Grenze zu Utah. Zuerst sieht man nur einen riesigen Parkplatz, von dem aus man etwa zehn Minuten durch die Wüste spaziert, bis man vor einer Klippe steht. Unter einem zieht sich der Marble Canyon in einer engen Schlaufe durch die Felsen. Von oben sieht das, wie der Name schon sagt, wie ein Hufeisen aus. Manche Naturschauspiele sind wegen ihrer Einfachheit so schön, und der Horseshoe Bend gehört dazu. Das grüne Wasser des Canyons zwischen den rötlichen Felsen und der blaue Himmel im Hintergrund.

Von Page aus buchen wir eine Tour zum Antelope Canyon. Den Canyon kann man mittlerweile nur noch mit einer Tour besuchen; ein Zutritt ohne Guide ist nicht mehr möglich und zudem lebensgefährlich. Bei plötzlichem Gewitterregen füllt sich der Canyon innerhalb von Minuten mit Wasser. Vor einigen Jahren kam so eine ganze Familie ums Leben. Also stellen wir uns in einer Reihe mit hunderten anderer Touristen an und warten. Immerhin haben wir noch Tickets ergattert, denn wir haben ein Talent dafür, an besonders beliebten Sehenswürdigkeiten immer an Feiertagen zu landen. Das Warten ist nicht schlimm, wir sind eine lustige Truppe, und zwei amerikanische Rentnerpärchen halten uns bei Laune. Der Antelope Canyon liegt im Indianerreservat, und eine junge Frau führt uns hinein. Das sanfte Licht, die Terracotta-Töne und die Formen sind so warm und weich, dass man kaum glaubt, durch Felsen zu wandern. Man fühlt sich sofort wohl und will gar nicht mehr hinaus.

Knapp eine Stunde verbringen wir in den teils schmalen Gängen, steigen Stufen hinauf und hinunter und lassen uns Formationen zeigen, die an Adler oder Indianerhäuptlinge erinnern. Nicht weit von Page entfernt liegt der Bryce Canyon Nationalpark, der eine faszinierende Vielfalt von Stein- und Felsformationen zeigt. Ich hätte nie gedacht, dass Steine und Felsen so beeindruckend sein können. Man kann den ganzen Park mit dem Auto abfahren und hat spektakuläre Aussichtspunkte, von denen man weit über das Grand Staircase Monument blicken kann. Felsen in unterschiedlichsten Formen, Türme, Bögen, Fenster – manche Gebilde sehen aus, als hätte sie jemand gebaut. Ja, das stimmt, die Natur hat sie gebaut, genauer gesagt das Wasser, das in Form von Schnee, Gewitter mit Hagel oder Regen die Kalksteine so ausgewaschen hat, dass die skurrilsten Formen entstanden sind. Ein Gewitter mit Hagel überrascht uns an diesem Nachmittag auch noch. Ganz plötzlich fängt es an zu regnen, und als wir die Scheibenwischer einschalten, bildet sich schnell ein weißer Rand. Gewitter mit Hagel hätte ich hier in der sonst so kargen Wüstenlandschaft nicht erwartet. Am nächsten Morgen machen wir eine Wanderung zwischen den riesigen Kalksteingebilden.

Man fühlt sich ganz klein, obwohl die Felsformationen von oben gar nicht so groß aussehen. Steht man aber mittendrin, sieht die Landschaft ganz anders aus. Chipmunks und Präriehunde begleiten uns, und dort unten scheint man auf einem anderen Planeten zu sein. Nach ein paar Tagen erreichen wir den Grand Teton Nationalpark. Es ist mittlerweile Anfang Juni, und tagsüber ist es schön warm. Auf den Gipfeln des Grand Teton Massivs liegt noch viel Schnee, unten aber blüht der Löwenzahn, und wir fühlen uns fast wie daheim, nur dass hier Büffel grasen statt Kühe. Vor einer Woche sind hier Gänseküken geschlüpft, und auf der Wiese vorm Visitor Center wimmelt es nur so von den kleinen flauschigen Tierchen. Wir machen eine Wanderung um den halben Jenny Lake, denn eine Seite ist gesperrt. Hubschrauber fliegen Baumaterial in die höheren Lagen, weil der viele Schnee, der noch so spät gefallen ist, große Teile der Trails zerstört hat.

Uns wird klar, dass wir unglaubliches Glück hatten mit unserem Umweg nach Flagstaff! Im Visitor Center sagt man uns, dass es Anfang Mai noch ordentlich geschneit hätte und es diesen Winter mit insgesamt gut über 600 Inches Schnee, das sind 15 Meter, einen absoluten Rekord gegeben hatte. Wir sollten vorsichtig sein, weil jetzt die Bären herauskommen, hungriger als sonst im Frühjahr, weil auch sie erst warten mussten, bis der Schnee schmilzt, um erfolgreich Futter zu suchen. Die Ufer der Seen sind überschwemmt, das Schmelzwasser treibt den Wasserstand hoch. Wir wandern am Ostufer des Sees entlang und entdecken in der Ferne im hohen Gras mühevoll einen Elch oder ist es doch nur ein Hirsch? Schwer zu sagen auf die Distanz. Das Wetter könnte nicht besser sein, und die Sonne brennt tagsüber ganz schön herunter. Wir müssen aufpassen, dass wir uns keinen Sonnenbrand holen. Wir campen gerade außerhalb des Nationalparks an einem See mit Feuerstelle, wo wir abends Burger grillen und aufmerksam der Umgebung lauschen. Doch es lässt sich kein Tier blicken.

Nördlich des Grand Teton Nationalparks liegt der Yellowstone Nationalpark. Am Donnerstag, den 8. Juni, erreichen wir ihn gegen Mittag. Wir fahren an Schneefeldern vorbei und staunen: Es ist warm, wir tragen Shorts und Flipflops, doch der Schnee schmilzt nicht so schnell, wie es plötzlich warm wurde. Der späte Wintereinbruch zeigt sich deutlich. Wir sind froh, dass wir den Umweg über Flagstaff gemacht haben, sonst wären wir Anfang Mai im Schneetreiben hier gelandet. Der Park erwacht gerade aus dem Winterschlaf, es ist wenig los. Wir fahren hinaus, um kostenlos zu campen und einen einsamen Platz zu finden. Eine kleine Ebene östlich des Parks, etwas höher am Waldrand, wird unser Schlafplatz. Auf dem Weg dorthin begegnen uns Elche, Büffel und eine Herde Bighorn-Schafe. So viel Wild haben wir auf der ganzen Reise noch nicht gesehen. Wir kochen schnell etwas und ziehen uns ins Auto zurück, um Bären nicht zu reizen. Abends wird es kühl, also schauen wir einen Film auf dem Notebook.

Letzlich sehen wir ihn: Ein Grizzly tapst vom Waldrand die Wiese entlang, direkt auf uns zu. Christoph sagt erschrocken: „Da hast du jetzt deinen Grizzly!“ Ich hatte die ganze Zeit darauf gewartet, wilde Bären zu sehen. Der Bär schnüffelt ums Auto, so nah, dass ich ihn nicht mehr sehen kann. Er riecht offenbar das Abwasser, das wir 20 Meter entfernt ausgeschüttet haben. Grizzlies haben einen extrem guten Geruchssinn, man sagt über zwei Kilometer weit. Er scharrt am Boden, findet nichts und schaut kurz ins Fenster, wo Christoph gerade hinausschaut. Unbeeindruckt marschiert er zur Abwasserstelle, findet auch dort nichts und verschwindet im Dickicht. Unser erster Grizzly! Christoph wird diese Begegnung nicht vergessen.

Am nächsten Tag fahren wir wieder in den Park, sehen Geysire, die zu bestimmten Zeiten ausbrechen. Die Farben der Geysirbecken sind bei Sonnenschein ein Spektakel, überall dampft es. Die Landschaft wirkt fremd, fast wie ein anderer Planet. Auf Stegen und Brücken wandern wir durch den Park, die Oberfläche ist zu gefährlich und empfindlich. Wir wandern zu einem kleinen Wasserfall, am Ende des Trails hat eine Murmeltierfamilie ihre Höhle. Die Jungen kommen neugierig heraus, obwohl wir nah sitzen. Die Mutter ist nicht da, aber man hört sie pfeifen, um die Kleinen zu ermahnen, wenn sie sich zu weit entfernen. In dieser Nacht verlassen wir den Park durch den Nordwest-Ausgang und finden an einem kleinen Bach einen Schlafplatz. Am nächsten Morgen kehren wir früh zurück, Rehe, Hirsche und Kitze schlafen noch auf der Wiese vor dem Albright Visitor Center. Sie wissen, dass sie dort sicherer vor Wölfen und Bären sind. Wölfe sehen wir nicht, dafür viele Bisonherden, Rehe, Hirsche, Bighornschafe und Bären mit Jungtieren.

Es ist Frühling. Unser letzter Nationalpark in den USA ist der Glacier Nationalpark. Es ist ein bärenstarkes Jahr, sagt man uns. Die Bärenmütter finden viel zu fressen und bringen die meisten ihrer Jungen durch. Ende Juni blüht es überall, es gibt viele Beeren. Am ersten Tag im Glacier Nationalpark sehen wir eine Grizzlydame mit einem Jungen. Sie überqueren die Straße, die uns aus dem Park führt. Das Junge, vermutlich im Frühjahr geboren, steht neugierig am Straßenrand, stellt sich auf die Hinterpfoten und folgt dann seiner Mutter. Die Bärin trägt ein Halsband und wird vom Nationalpark überwacht. Auf der anderen Seite angekommen, fressen sie weiter. Das Junge schaut neugierig hinter dem Gras hervor, fast wie ein Pandababy mit schwarzen Rändern um die Augen. Im Auto gegenüber bellt ein Hund, das Junge streckt sich noch mehr, die Mutter bleibt unbeeindruckt und zieht weiter. Das war ein aufregender Tag, zum ersten Mal einen Grizzly mit Jungem zu sehen. Wir sind froh, im Auto zu sein, denn Grizzlies mit Jungen gelten als aggressiv. Am nächsten Morgen sind wir wieder früh im Park, wollen eine vierstündige Wanderung machen und haben Bärenspray dabei. Es ist wie Pfefferspray, nur stärker, und soll im Notfall den Bären orientierungslos machen, wenn man es richtig einsetzt.

Das Wetter ist herrlich, und wir planen eine Wanderung zum Ice Lake, insgesamt 16 Kilometer hin und zurück. Der schmale Pfad führt durch Wälder und über Blumenwiesen, wird stellenweise steil, und am Ende überqueren wir ein Schneefeld. Das Panorama am Ice Lake ist beeindruckend und eisig. Unterwegs treffen wir Lynn, eine ältere Frau, die den Trail zum etwa hundertsten Mal wandert. Sie lebt in der Nähe des Parks und beobachtet seit Jahren die Grizzlies. Sie erzählt von einer Grizzliedame namens Panda, die sie seit ihrer Geburt im Nationalpark beobachtet. Panda hat inzwischen Nachwuchs, und Lynn plant, ein Buch über sie zu schreiben. Ich erwähne, dass wir am Vortag eine Bärin mit Jungem gesehen haben, die wie ein Panda aussieht, und dass wir Fotos gemacht haben. Lynn, die wir auf Mitte 70 schätzen, ist begeistert und bittet um die Fotos. Wir tauschen Handynummern aus, und sobald wir Internet haben, schicke ich ihr die Bilder.

Auf dem Hinweg zum Ice Lake entdeckte Christoph Rotkappen, wollte sie aber nicht mitnehmen, um sie nicht zu zerdrücken. Auf dem Rückweg finden wir sie wieder, denn Amerikaner sammeln selten Pilze. Wir kaufen Toastbrot im Parkkiosk und bitten im Restaurant um Sahne, um Rahmschwammerl mit Semmelknödel zu kochen. Am Waldrand außerhalb des Parks bereiten wir unser Abendessen zu. Am nächsten Morgen fahren wir über Chief Mountain zur kanadischen Grenze und zum Waterton-Lakes-Nationalpark. Die Route führt an schneebedeckten Bergen und blühenden Wiesen vorbei. Die Grenze liegt einsam inmitten idyllischer Natur, und ich frage mich, wie oft hier ein Bär vorbeikommt. Im Park angekommen, holen wir uns den kostenlosen Jahrespass, da Kanada seinen 150. Geburtstag feiert. Wir sparen 140 kanadische Dollar und planen, am nächsten Tag früh zum Upper Rowe Lake zu wandern. Heute machen wir nur zwei kleine Spaziergänge und werden von einem aufgebrachten Eichhörnchen beschimpft, wahrscheinlich haben wir sein Revier betreten.

Wir übernachten außerhalb des Parks, um Kosten zu sparen, und finden einen ruhigen Feldweg. Am nächsten Morgen stehen wir früh auf, um Tiere zu sehen, und sind die Ersten am Parkplatz. Mit festen Bergschuhen, Bärenspray und Glocke machen wir uns auf den Weg. Christoph klingelt wild, um Bären zu warnen, was mich fast in den Wahnsinn treibt, da ich gut höre. Als wir frischen Bärendreck entdecken, wird noch lauter geklingelt. Der Bär ist sicher nicht weit, wahrscheinlich versteckt er sich und hofft, dass wir bald verschwinden. Der Upper Rowe Lake Trail wird steil und schneebedeckt, sodass wir umkehren müssen. Auf dem Rückweg machen wir einen Abstecher zum Lower Rowe Lake und rasten am Ufer. Der Schnee taut, und man sieht, wie hoch er im Winter lag. Wir sehen wenige Tiere, nur Vögel und Eichhörnchen, die viel Lärm machen.

Zurück am Parkplatz packen wir unser Zeug und fahren zum Visitor Center. Auf dem Weg entdecken wir einen großen braunen Schwarzbären, der Löwenzahn frisst. Wir halten an, und ich mache Fotos. Erst als ein Hund bellt, wird der Bär aufmerksam, bleibt aber ruhig. Er hat nur ein halbes Jahr Zeit zum Fressen, also überlegt er gut, wofür er seine Zeit nutzt. Ja, es gibt braune Schwarzbären, was wir erst lernen mussten. Grizzlies erkennt man an einem Nackenbuckel und ihrer Größe. Unser Umweg endet hier, und die nächsten Nationalparks, Banff und Jasper, stehen auf unserer Liste.