Irgendwo im Nirgendwo, ein seltsames Geräusch und Weltuntergangsstimmung

Muggl ist mit Diesel und Wasser vollgetankt, Lebensmittel und Getränke sind aufgefüllt. Wir sind bereit für das Outback! Am 7. Juli fahren wir auf den Dempster Highway, der von Dawson City nach Inuvik, der nördlichsten Stadt Kanadas, führt. Diese einsame, breite Straße ist nicht asphaltiert und wird hauptsächlich von großen Trucks als Transportweg genutzt. 

Auf dem Weg zu unserem ersten Etappenziel sehen wir endlich unseren ersten Elch, beziehungsweise Moose. Die Bezeichnungen sind hier etwas verwirrend: Das riesige Tier mit dem rundlichen Geweih heißt bei uns Elch, in den USA und Kanada jedoch Moose. Elch (Elk) bezeichnet dort eine größere Hirschart, die schwer zu finden ist. Das Verhältnis von tatsächlich gesichteten Tieren zu Warnschildern entlang der Straße liegt bei etwa 1:1 Million. Wir dachten schon, es gäbe sie gar nicht und die Schilder stünden nur zum Spaß da. Als wir an einem Tümpel neben der Straße vorbeifahren, sehe ich einen Fellberg und denke noch, die haben aber große Biber hier! Als ich das zweite Tier entdecke, wird mir klar, dass es ein Moose ist. Ich schreie: „Stop! Moose!“ Christoph hält sofort an und setzt zurück. Das, was ich für einen Riesenbiber hielt, waren tatsächlich nur die Schulterblätter eines gerade abgetauchten und Seegras fressenden Moose. Da stehen also zwei dieser mysteriösen Tiere in voller Pracht und Größe vor uns. Aussteigen mag man da nicht, auch wenn es nicht so aussieht, angeblich können sie aber ganz schön schnell werden.

An diesem Freitag fahren wir 160 km, bevor wir uns in einem trockenen Flussbett ein Plätzchen zum Übernachten suchen. Es ist schon spät, aber noch heiß und hell. Sommer in Kanada bedeutet, dass es nicht dunkel wird – überhaupt nicht. Es dämmert bestenfalls ein bisschen zwischen 1:00 und 2:00 Uhr morgens, das war’s. Das letzte Auto haben wir vor Stunden gesehen, und an diesem ‚Abend‘ fährt nur noch ein LKW an uns vorbei. Da es nicht dunkel wird, gehen auch die Moskitos nicht ins Bett. Uns fehlt noch der Moskitoschutz an der Schiebetür, denn bisher hatten wir mit den Biestern ziemlich Glück. Ich schneide im Eiltempo das Netz zu und befestige es mit Klettverschluss an der Tür. Jetzt können wir komplett auf Durchzug stellen und es lässt sich einigermaßen aushalten.

Wir hätten nicht gedacht, dass Sommer in Kanada so heiß sein kann, aber dieser Sommer ist auch überdurchschnittlich heiß und sonnig, sagen uns die Einheimischen. Wegen der Hitze und Trockenheit hat Kanada große Probleme mit Waldbränden. Wenn wir Richtung Norden schauen, ist der Himmel orange-rosa. Da es nicht dunkel wird, kann man hier bis Mitternacht ohne Licht ein Buch lesen und wird auch gar nicht müde. Nach ein paar Wochen fühlt sich das wie ein dauerhafter Jetlag an und ist ziemlich anstrengend. Also sitzen wir um 23:30 Uhr noch im Muggl und lesen. Absolute Stille um uns, bis ich ein Geräusch höre. Es nähert sich langsam und ich frage mich, was das wohl ist. Es klingt wie Steine oder Stöckchenklappern und hört nicht auf. Christoph hört wie immer nichts und ich schaue bei jedem Fenster angestrengt hinaus. Obwohl es noch fast taghell ist, sehe ich nichts. Ihr könnt euch einen sonnigen Spätnachmittag im Hochsommer vorstellen, so um halb fünf – so ist es um halb zwölf nachts im Juli in Kanada!

Das Geräusch kommt näher und ich erinnere mich, dass andere Reisende im letzten Jahr hier einen Wolf gesehen haben. Die Spannung steigt, denn das Geräusch kommt direkt auf uns zu. Es ist nun so laut, dass ich sagen kann, da läuft etwas auf Steinen und es muss groß sein, weil es langsam echt laut wird. Christoph hört immer noch nichts und ich verstehe nicht, wie man den Lärm nicht hören kann! Ich bin langsam ganz schön aufgeregt und gespannt, was da auf uns zukommt. Gerade als Christoph mich für verrückt erklären will, sehe ich, was den Lärm verursacht, und muss laut lachen. Es sind Ziegen! Eine ganze Herde kleiner Ziegen, ganz kleine, etwas größere, alte, junge und ganz schön viele. Zählen konnte ich sie nicht, aber sie marschieren in etwa fünf Metern Entfernung alle der Reihe nach an Muggl vorbei. Damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet, vor allem weil es diese Art Ziegen hier eigentlich gar nicht gibt. Die Leute, denen wir danach davon erzählt haben, wissen auch nichts von Ziegen dieser Art hier. Wie auch immer, wir gehen nach der Aufregung ins Bett und beschließen, wann immer wir am nächsten Morgen wach werden, aufzustehen und weiterzufahren. Das war dann um 3:00 Uhr.

Weit kommen wir aber nicht, denn etwa 40 km weiter ist die Straße wegen Waldbränden gesperrt, genauer gesagt Steppenbränden, denn viel Wald gibt es hier oben nicht mehr. Die Vegetation so hoch im Norden ist schon ganz anders. Neben der Straßensperre ist eine Einfahrt zu einem großen Kiesplatz. Dort warten zwei große Trucks und ein PKW. Einen der Trucks erkennen wir als den letzten, den wir am Vorabend an uns vorbeifahren sahen. Demnach muss die Straße schon eine Weile gesperrt sein. Wir hatten gehört, dass entlang des Dempster Highways Feuer ausgebrochen sind und dass er teilweise, vor allem nachts, von Norden her gesperrt wird, um Unfälle durch die schlechte Sicht zu verhindern. Wir beschließen, maximal zwei Stunden zu warten, frühstücken erst einmal und machen dann noch ein Nickerchen. Etwa eineinhalb Stunden später ist die Straße offen und wir fahren weiter. Hunderte von Kilometern Schotterstraße liegen vor uns. Zu unserer Rechten sehen wir abgebrannte kleine Tannen. Richtig hoch wachsen die hier ja nicht, übrig ist davon nur noch ein schwarzer Stängel. Sie sehen aus wie überdimensionale abgebrannte Streichhölzer. Der Wind kommt von Westen und bläst den Rauch somit von uns weg. Wir haben gute Sicht, beschließen aber, nicht bis nach Inuvik zu fahren, weil wir das Risiko, dort hängen zu bleiben, nicht abschätzen können, sollten sich die Wildfire ausbreiten. Unsere endgültige Destination an diesem Tag ist der Arctic Circle, also der Polarkreis, was auch der nördlichste Punkt unserer Reise ist. Dort machen wir am Schild ein Erinnerungsfoto von uns dreien (wir zwei und Muggl), dann geht es auch schon wieder zügig zurück.

Die Rückfahrt wird weniger entspannt, weil in der Zwischenzeit der Wind gedreht hat und den Rauch jetzt direkt über den Highway bläst. Wir sehen nichts, und zwar gar nichts. Teilweise arbeiten wir uns in Schrittgeschwindigkeit zurück. Die Fenster haben wir zu, und trotzdem haben wir das Gefühl, nicht gut atmen zu können. Den dichten Rauch können wir zum Glück schnell hinter uns lassen, aber die ganzen 400 km unseres Rückwegs sind aufgrund eines neuen Richtungswechsels des Windes ziemlich verraucht. An diesem Tag fahren wir knapp 700 km und sind froh, am Ende des Highways wieder einigermaßen frische Luft atmen zu können. Das meiste von unseren Vorräten haben wir, mit Ausnahme des Sprits, nicht gebraucht, aber man weiß ja nie, was passiert, wenn man in Kanada einsame Strecken fährt.